Wednesday, November 29, 2017

Pam

Pam ist die Frau im Spiegel. Wieder und wieder taucht dieses Bild auf: Das Schlafzimmer von Pam und Bobby, mit seinem gelb-beigen, ornamentalen, puppenhaushaften Interieur, und im Spiegel, der an der hinteren Wand hängt, sieht man Pam, auf dem Bett liegend, in sich gekehrt, verschlossen. Niemand hier hat einen passenden Schlüssel, am wenigsten sie selbst. Pam-Großaufnahmen sind das Gegenteil von Sue-Ellen-Großaufnahmen: Keine Leinwand voller dramatischer Effekte, sondern eine versiegelte Plastik. Nichts rührt sich, das Gesicht bleibt perfekt zugeschminkte Maske. Die Wangen sind oft sehr massiv rot bemalt, wie um eine Lebendigkeit zu simulieren, die von Innen kaum noch durchscheint. Obwohl da etwas sein muss. Die Seelenruhe im Spiegel verweist auch auf Ressourcen.

Bei sich selbst ist sie nur im Spiegel, als unerreichbares Bild. Ihr Handeln wirkt hingegen erratisch, es geht nicht aus ihrer Erscheinung hervor, sondern manifestiert sich scheinbar spontan, in ihrer Kontingenz ist sie, ihrer ermattet piepsenden Stimme zum Trotz, unberechenbar, und auch unbeugbar, weil ihre Motivation im Verborgenen, Privaten bleibt, nicht nur für Vernunfts-, sondern auch für Gefühlsgründe unerreichbar.

Der Körper ist etwas zu groß und viel zu üppig für das Gesicht, das er trägt. Im Badeanzug wird sie zu einem anderen Mensch.

Sue Ellen

Das Gesicht ist ein Ereignis, das wieder und wieder in Großaufnahmen zelebriert wird. Geprägt ist es von einer Zweiteilung, die Augenpartie ist vergleichsweise unabhängig von der Mundpartie, beide trennt eine breite Oberlippe. Der Mund zuckt und entblößt gerne in einem schmalen, geraden Spalt die Zähne des Unterkiefers, die Augen starren weit aufgerissen, groß und expressiv, durchs Make-up zusätzlich akzentuiert, oder sie huschen nervös hin und her. Wenn sie die Augenbrauen hochzieht, und das tut sie oft, dann beschreiben die fast einen perfekten Halbkreis.

Sue Ellens Gesicht ist der unstete Pulsschlag von Dallas. Wie in einem Rahmen ist es zwischen ihren voluminösen Haaren aufgespannt, wie auf einer Leinwand zeichnen sich auf ihm unmittelbar sichtbar die Spannungen ab, unter die die Serie Sue Ellen setzt. Ihr restlicher Körper ist nicht klein zu kriegen, er stolziert noch in den Niederlagen aufrecht durch die Sets, bewahrt noch im Vollrausch Eleganz. Ein gestählter Luxuskörper, trainiert fürs Gutaussehen in jeder Lebenslage. Aber das Gesicht ist umso empfindlicher. Tatsächlich passt "empfindlich" besser als "empfindsam", weil es nicht um kultivierte Innerlichkeit geht, sondern um äußerliche Kräfte, die an Sue Ellen zerren.

Sunday, November 26, 2017

Les sept déserteurs ou La guerre en vrac, Paul Vecchiali, 2017

There's not a single soldier in sight in Les sept déserteurs ou La guerre en vrac, and still it makes sense that Paul Vecchiali dedicates his film to, among others, Fuller and Wellman, the masters of the combat film. Because his film, like theirs, also uses war primarily as a mechanism of self-revelation through isolation. In Vecchiali's case, the war remains unnamed, and it takes place, in a very strict sense, outside the frame, and also (almost constantly) on the soundtrack, but never in the image itself. War can be told and heard, but never seen. Stray bullets may penetrate the frame and even kill the characters, but they never leave a visible trace on the actors, thereby delimiting another threshhold important for the film: between actor and character.

In a way, Vecchiali is even more serious about this seperation than Brechtian filmmakers like Straub / Huillet who always insist on the firstness of the performance and the profilmic. Because with Vecchiali it's not about priviledging the one (the actor / signifier) over the other (the character / signified), but about the co-existence of two realms: Les sept déserteurs ou La guerre en vrac is at the same time a gathering of seven actors, who meet on a single outdoor set supplemented by a handful of cleverly designed props, and are called up, first one by one, than in small, shifiting groups, to perform small acts, most of them very loosely structured around sex and death and all of them performed in a decidedly joyful, irreverent way, highlighting with proud stubbornness personal idiosyncrasies, especially in artfully stylized manners of speaking; and a film about a group of deserters and outcasts trying to escape from an omnipresents war. At least until the strange, magnificent last twist, there isn't a single rift between these two realms, as they are at the same time connected and seperated by the act of playing, which always involves a literal, materialist and a symbolic aspect.

Tuesday, November 21, 2017

Dear Etranger, Yukiko Mishima, 2017

Auf dem Dach eines Kaufhauses soll ein Teeniemädchen ihren leiblichen Vater treffen, das hat ihr von Tadanobu Asano gespielter Stiefvater arrangiert. Ich dachte unsinnigerweise zunächst, das wäre eines dieser kargen Hochhausdächer, die in japanischen Filmen andauernd vorkommen, vorzugsweise dann, wenn jemand sich dort Trübsal blasend versteckt, aber da es sich nicht um ein klandestines Treffen handelt, sondern ganz um Gegenteil um eines, das in einer gesteigert kontrollierten, kontrollierbaren Umgebung stattfindet, sieht das Kaufhausdach völlig anders aus: ein eingehegter Parkour des Kommerziellen, Kaorus kleine Schwester kann da Autoscooter fahren, am Rand ein gut gesicherter Zaun, nicht einmal der Blick geht wirklich ins Freie.

Dem Umstellt- und Eingebundensein entkommt man nicht in diesem Film. Der Druck ist allgegenwärtig, aber Mishima gelingt es, gerade das Alltägliche, Fließende darzustellen, im Gegensatz zu der im europäischen Entfremdungskino dominanten beklemmenden Ausweglosigkeit. Nicht in Zwickmühlen, sondern in Ausweichbewegungen artikuliert sich die bürgerliche Selbsteinschließung. In Dear Etranger betrifft das zum einen die globale narrative Konstruktion - sowohl Asano als auch seine jetzige Frau sind in zweiter Ehe verheiratet und haben auch Kinder aus ihren vorherigen Familien, beide sind der Beklemmung entkommen, die die vorherigen Beziehungen für sie war, aber jetzt befinden sie sich im Zustand der permanenten Aushandlung emotionaler und logistischer Bindungen. Zum anderen betrifft es auch das Partikulare, den Aufbau der einzelnen Szenen, die sich selten auf einen einzigen Konflikt konzentrieren, sondern Felder eröffnen, in denen viele verschiedene Kräfte insbesondere an Asano zerren und die in einer flüssigen, eleganten Filmsprache, die fast nie auf exzessive Schuss/Gegenschuss-Routinen zurückgreift, ins Bild gesetzt werden. Gleich zu Beginn kommt ihm beim Schreiben einer Email an die Tochter aus erster Ehe die neue Frau dazwischen, die wieder schwanger ist und fröhlich über ein Kind plappert, von dem er gar nicht weiß, ob er es will. Später im Film zieht sich die ganze Anordnung in einer Autofahrt zusammen. Vier Menschen sitzen im Wagen, und man kann sozusagen live dabei zusehen, wie sie, vorsichtig sich durch small talk tastend, herausfinden, dass sie alle aneinander gebunden sind, ob sie nun wollen oder nicht.

Die sture Teenietochter möchte sich den Rest der Welt durch ein Schloss vom Leib halten, aber das funktioniert nicht. Gerade Asanos Versuch, das Schloss tatsächlich physisch am Kinderzimmer anzubringen, erweist sich als ein Kippmoment, der die Tochter zurück in die familiäre Zirkulation überführt. Zum Treffen auf dem Hochhausdach erscheint sie trotzdem nicht, was in sich logisch ist, weil der "alte" Vater für sie ein absolutes Außen darstellt. Nicht ums absolute Entkommen geht es in Dear Etranger, sondern ums punktuelle sich Entziehen.

Monday, November 20, 2017

Baby John

Das Babyschlafzimmer ist einer der wichtigsten Räume in der dritten Staffel. Wie das gesamte Anwesen der Ewings (die ihren Reichtum nicht in Freiheit umzusetzen verstehen) macht es einen klaustrophobischen Eindruck, auch wegen der aggressiv kleinteilig-bunten Tapete. Zwei riesige Stoffhasen, die an einer der Wände hängen, sind sogar regelrecht creepy. Die sieht man jedoch kaum einmal, weil das Zimmer fast immer aus derselben Perspektive gefilmt ist: Die Kamera ist mehr oder weniger direkt im oder jedenfalls unmittelbar hinter dem Himmelbett des Babys positioniert, sodass das Bett mitsamt seines Dachs zum Rahmen eines Bilds im Bild wird. Man sieht dann wieder und wieder im Hintergrund verschiedene Figuren in die Tür treten und sich langsam in Richtung Vordergrund bewegen, aufs Bett und auf die Kamera zu. Im Babyschlafzimmer schwinden die Freiheitsgrade, die sich die Figuren in anderen Settings noch einigermaßen erhalten können, endgültig dahin. Es geht da nicht mehr um ein reflexives hin und her, um Versteckspiele und heimlich einander zu oder an einander vorbei (manchmal auch: in die Kamera) geworfene Blicke, sondern um ein Dispositiv, in dem keine Verstellung, kein Ausweichen möglich ist, oder in dem sich zumindest die Kamera nicht an solcher Taktik beteiligt. Die Baby-Mise-en-Scene vervollkommnet die soziale Kontrolle, weil sie Verhalten objektiv beobacht- und vergleichbar macht.























Monday, November 13, 2017

Filmwoche Duisburg Nachtrag

Filmfestivals sind immer beides: Exzesse des Sinnlichen und Diskursmaschinen. Einerseits schöpfen sie ihren Reiz daraus, dass man in einem engen Zeitraum sehr unterschiedliche Bilder und Töne entdecken kann, andererseits kann man kaum anders, als diesen Überschuss doch wieder begrifflich einzuhegen. Ein Beispiel: Bei den Filmen, die ich in Duisburg gesehen habe, sind mir zwei unterschiedliche Formen von Formatierung aufgefallen. Die eine arbeitet mit dramaturgischer Struktur und kontextuell-diskursiven Rahmungen, die andere mit fiktionalem, fantasmatischem Überschuss und immersiven, erfahrungsästhetischen Entrahmungen. Die eine verweist aufs Fernsehen, die andere aufs Kunstsystem (und das schlägt auch auf Filme durch, die nicht direkt an den einen der beiden Verwertungszusammenhänge gebunden sind).

Daraus ergeben sich eine Reihe von Fragen. Zum Beispiel die, ob es eine Essenz des Dokumentarischen hinter solchen Formatierungen überhaupt gibt. Oder ob das nicht nur eine idealistische Projektion ist, die übersieht, dass auch der “klassische Kinodokumentarfilm”, der in der Tat nicht allzu oft auftaucht im Duisburger Programm, immer schon formatiert war. Auf einer streng begrifflichen Ebene ist eh klar, dass selbst zB Wiseman-Filme formatiert sind. Vielleicht sogar gerade die; die Differenz ist eher, dass das dann in erster Linie eine auktoriale Formatierung ist, die sich direkt aus der Arbeitsmethode ergibt. Aber auch Wiseman ist umstellt von technologischen und filminstitutionellen Voraussetzungen, zu denen er sich nicht komplett autonom verhalten kann.

Ich frage mich außerdem, warum mich Formatierung bei Dokumentarfilmen mehr beschäftigt und auch mehr ärgert als bei Spielfilmen. Im fiktionalen Kino stören mich funktionale Bilder und erzählerische Allgemeinplätze für gewöhnlich nicht allzu sehr, und wenn andere Kritiker sich an solchen Rhetoriken stören, kommt mir das oft kleinlich vor (fast wie eine Form der absichtsvollen Blindheit; nicht, weil eine solche Kritik formalistisch wäre, sondern weil sie Form nur da erkennt, wo sie zum Klischee geronnen ist). Im Dokumentarischen ist das anders. Ich habe mich zum Beispiel in CHoisir à vingt ans (Regie: Villi Hermann), einem schweizerischen Film über franzöische Deserteure während des Algerienkriegs, regelrecht geärgert über einen wiederkehrenden Einstellungstyp: Die Kamera filmt, wieder und wieder,  aus einem fahrenden Auto heraus, erst richtet sie den Blick nach vorne, auf die Straße, dann folgt ein Schwenk, auf die daneben ausgebreitete Landschaft. Die mechanistische Gleichheit dieser Einstellungen zeigt mir, dass es nicht um ein Interesse an der Welt außerhalb des Autos geht, sondern um das bloße Behaupten eines solchen Interesses.

Das kann auch einzelne Momente von Filmen betreffen, die mir ansonsten gefallen. Zum Beispiel habe ich mich gefragt, warum Flavio Marchettis Tiere und andere Menschen, eine rührende, klug gefilmte Studie über den zwischen-geschöpflichen Alltag in einem wiener Tierheim, es nötig hat, seine geduldig beobachteten Miniaturen in eine konventionell-dramaturgische Klammer einzufassen: Es beginnt mit der Ankunft eines Tieres im Käfig, es endet mit einer Auswilderung, oder zumindest mit dem Versuch einer Auswilderung - der Abspann beginnt, bevor zu sehen ist, ob dem Vogel den Abflug in die Freiheit auch tatsächlich gelingt. Das ist ein enttäuschend berechnender, manipulativer Abschluss für einen Film, dessen Struktur sonst eher von der Abfolge klug getimeter tierischer Attraktionen bestimmt wird (ein beständiger Strom an Hunden und Katzen als Grundtextur, die Einzelfallstudie zweier Affen als Leitmotiv, dazwischen als Stargäste: ein Schwan, ein Biber und so weiter).

Die Formatierung fürs Kunstsystem funktioniert anders, nicht über dramaturgische Formeln und Bildklischees, sondern über strategisch platzierte Diskurspartikel, wie etwa im ersten und letzten Drittel von Helena Wittmanns Drift. Wenn ich darauf nicht ganz so allergisch reagiere, dann vielleicht, weil Drift, oder auch Nicolaas Schmidts Final Stage ohnehin stärker fiktionalisiert sind. Dennoch verliert auch da der dokumentarische Kern durch seine Rahmungen an Evidenz. Möglcherweise hat mein Problem in allen Fällen damit zu tun, dass das Dokumnetarische auf jeweils unterschiedliche Weise funktionalisiert wird; und dass diese Funktionalisierung nicht mitreflektiert, nicht wieder ans Material zurückgebunden wird.

Friday, November 03, 2017

Nightfall, Jacques Tourneur, 1955

Auch beim dritten Sehen geschockt hat mich die Schneepflugattacke am Ende, der vielleicht reinste Horrorfilmmoment in Tourneurs Werk. Ein wenig genauer geachtet habe ich diesmal auf die Machart, die szenische Auflösung. Der entscheidende Regiekniff ist, glaube ich, dass Tourneur den Fahrzeugteil des Schneepflugs von der Schneefräse radikal abtrennt. Wenn das Ding losfährt, sieht man es erst nur von schräg hinten, die bedrohliche Vorderseite bleibt unsichtbar (aus einer vorherigen Szene weiß man freilich, dass es sie gibt). Da der Pflug, auch das macht die Szene so effektiv, äußerst langsam fährt, bleibt die Fräse lange - während sich Bond und Ray in der Fahrerkabine prügeln und abwechselnd zur Seite heraus in den Schnee geworfen werden - virtuell. Und wenn sie sich schließlich im Blick, den die von ihr bedrohten Gefesselten durch den Spalt in einer Bretterwand hindurch auf sie werfen, realisiert, dann ist die Fräse ihrerseits von dem Fahrzeug, das sie in Bewegung setzt, optisch strikt getrennt. Die reine, alles zermalmende Negativität rückt langsam auf die Gefesselten (und auf uns) zu, bereit, die ganze Leinwand und danach uns zu verschlingen. Der wahre, exzessive Horror liegt nicht in der beschriebenen Situation, sondern gerade in dem Bruch, den die Inszenierung in die Situation einführt: Der in der gesamten vorherigen Sequenz ausführlich ausgebreitete, und gewissermaßen in der funktionellen Logik des Schneepflugs gebündelte Ursache-Wirkungszusammenhang wird auf der Bildebene außer Kraft gesetzt. Alle Rationalisierungmechanismen brechen zusammen im Angesicht einer autonomen und deshalb nicht abbremsbaren Todesbewegung.