Thursday, August 31, 2017

Edaha no koto, Ryutaro Ninomiya, 2017

Ein kurzer Nachtrag aus Locarno, weil mir ein paar Bilder nicht aus dem Kopf gehen...

Erst vom Schluss her ist dieser lange episodisch mäandernde, in den kaum psychologisch oder sonstwie motivierten Bewegungen der Hauptfigur durch sein soziales Umfeld fast unkonzentriert wirkende Film lesbar als eine geradlinige, systematische, gewissermaßen rein kumulative Auseinandersetzung mit Alkoholismus: Fast jeder im Film säuft sich auf seine ganz eigene Art ins Unglück, Auswege gibt es für niemanden. Was mir jedoch vor allem im Gedächtnis bleiben wird ist der Bewegungsmodus der (vom Regisseur gespielten) Hauptfigur. Einerseits hat man nie den Eindruck, dass ihm besonders viel daran liegt, einen bestimmten Ort zu erreichen (schon eher liegt ihm etwas daran, Orte zu verlassen, aber das hat meist auch nicht wirklich einen Anlass, hat eher etwas mit einer unerschütterlichen Grundasozialität zu tun); zum anderen verfügt er über einen überaus entschlossenen Gang: nichts kann ihn aus der Ruhe bringen, fast wie ein Roboter stapft er, mit leicht wiegendem Schritt, von der Arbeit nach Hause, von Kneipe zu Kneipe, von Frau zu Frau.

Tuesday, August 29, 2017

Hiroshima 28, Patrick Lung, 1974

A Hongkong film set exclusively in Japan, and telling an almost exclusively Japanese story with only one chinese character: a reporter interested in learning about the legacy of the atomic bomb dropped over Hiroshima in 1945. Patrick Lung plays this soft-spoken reporter himself, signaling his personal commitment to the humanist venture the film is clearly ment to be. The main part of Hiroshima 28, however, consists of a dense family melodrama centered around two young women brought up as sisters which starts of somber and quiet but grows a lot more hysterical over time. (Spurred on by the dynamics of the interplay between the two main actresses - my favorite moment is energetic Maggie Li's long, slender fingers elegantly grabbing somnambul Josephine Siao's lunch).

On the macro level, the diverging ambitions of the film aren't all that well integrated on first sight with didactic sequences set at memorial sites repetedly interrupting the flow of melodrama. But in the end, the film manages to extract an essence of pure (and in the final analysis amoral) negativity from both strands of its story, with the furious conclusion of the melodrama somehow mirroring the harrowing flashback sequence at the beginning of the film - two outbursts of cinematic excess bracketing a story about fragile normalcy haunted by death.

Thursday, August 24, 2017

Men Without Women, John Ford, 1930

Es muss in einer heute unvorstellbaren Weise aufregend gewesen sein, in den Jahren zwischen 1928 und 1932 ins Kino zu gehen. Man wusste nie ganz genau, was man zu hören, und in der notwendig gekoppelten Erweiterung, zu sehen bekommt: kein Ton, viel Ton, irgendetwas dazwischen. Und manchmal läuft dann sogar eine "International Sound Version". Von der Existenz dieser wunderbaren Mischform wusste ich nichts, bevor ich zufällig selbst über eine gestolpert bin; weil John Fords Men Without Women nur in einer solchen Fassung überliefert ist. Es handelt sich dabei um einen Film, der ursprünglich komplett als Tonfilm produziert wurde, dem der Ton, oder jedenfalls der Originalton, jedoch wieder entzogen wird. Handlungstragende Dialoge werden zum einen mit laut aufbrausender Musik "überklebt", zum anderen in Zwischentiteln im Stummfilmstil nachgereicht. "International Sound Versions" waren, als billige Alternative zum Dubbing, für den internationalen Markt bestimmt. Was freilich nicht erklärt, warum die Zwischentitel im Fall von Men Without Women genau wie die Dialoge, die sie ersetzen, englischsprachig sind. (Vielleicht als Vorlage für Übersetzer in anderen Ländern?)

Jedenfalls setzt im Film immer dann, wenn ein längeres Gespräch beginnt, Musik ein. Und nicht irgendwelche, sondern aufbrausende Orchestermusik, rabiate und dann auch noch hochgradig repetitive Melodiebögen. Die Tonschnitte sind hart und nicht allzu präzise, oft fahren sie den Figuren unwirsch über den Mund. Die menschliche Stimme ist wiederum nicht ganz aus dem Film verschwunden, aber sie taucht fast nur auf, wenn sie etwas anderes tut, als Sinn sprachförmig, mit dem Zweck der Informationsvermittlung zu artikulieren. Also etwa wenn sie lacht, weint, singt, schreit. Wenn sie zum Ausdruck nicht der Sprache sondern des Körpers wird.

Der Film selbst ist super. Ein U-Boot-Drama, das von der Gemeinschaft der Soldaten her gedacht ist. Zuerst geht die ganze Besatzung, während des Landurlaubs, in eine Hafenkneipe. Da stehen sie dann aufgereiht am ewig langen Tresen und bekommen ein paar erotische und musikalische Attraktionen geboten. Dann müssen sie alle wieder raus, erst auf die Hafenmeile, schließlich aufs Boot, das bald beschädigt auf den Meeresgrund sinkt. Da sitzen sie dann im immer gleichen framing herum und warten auf den Tod oder auf die Rettung. Einer versucht ewig lang per Funk die Außenwelt zu erreichen, der Morsecode nimmt die Tonspur in Beschlag (wenn nicht gerade die Musik darüberwischt). Dass nicht die gesamte Besatzung den Unfall überlebt hat, ändert nichts an der Gemeinschaftsorientierung. Ganz im Gegenteil: der nahende Tod schweißt die, die übriggeblieben sind (und die sich auch so verhalten: wie Übriggebliebene) noch mehr zusammen. Ford setzt immer wieder und immer nur die Gemeinschaft ins Bild - bis sich schließlich herausstellt, dass die Rettung nur in der Vereinzelung liegen kann: Einer nach dem anderen steigt in eine Schleuse, und wird nach oben, an die tosende Wasseroberfläche, gespült. Da die Schleuse nur von innen bedient werden kann, muss einer sich aufopfern.

Der Film hat eine prozessuale Klarheit, die wenig mit Erzählung zu tun hat und eher an die zwangsläufige Abfolge der einzelnen Sätze in einer Symphonie erinnert. Gleichzeitig gibt es aber eine andere Ebene: In der Kneipe vom Anfang wird einer der Seeleute von einem Gast erkannt: als einer, der eigentlich schon tot ist. Der Rest ist nur noch Exekution.

Monday, August 21, 2017

The Call Girls, Patrick Lung, 1973

Wie kann ein Film zeigen, dass einige seiner Hauptfiguren zum Drogenmißbrauch neigen? Zum Beispiel so: Eine Frau kriecht in einem schummrigen Club auf den Knien auf dem Boden herum, und sammelt Pillen ein, die ein schmieriger Zuhältertyp (bzw einfach: Zuhälter) dort hat fallen lassen. Katzenartig bewegt sie sich dabei auf die Kamera zu und beginnt, nachdem sie die ersten Fundstücke eingeworfen hat, den Kopf zur Musik hin und her zu werfen. Schließlich begegnet sie einem Mann, der auf derselben Mission unterwegs ist wie sie. Die tanzenden Beine der übrigen Clubbesucher werden für die beiden zu einem Wald, dessen Boden sie, die Eingeweihten, nach verbotenen Früchten durchkämmen.

Parallel montiert eine andere Szene, eingeführt mit einer Großaufnahme einer Handvoll Pillen derselben Sorte, die auf einen gut ausgeleuchteten Tisch geworfen werden. Konsumiert werden sie von einer anderen Frau (einem High Society Call Girl; die Klubkatze muss unter weitaus problematischeren Bedingungen anschaffen), die sich allein in ihrer eigenen Wohnung befindet und die Pillen mit Schnaps herunterspühlt. Freilich wird sie dabei beobachtet: Ein Nachbar schaut durch sein eigenes Fenster in das ihre, dabei überlagern sich die Muster der Gitterstäbe, die vor beiden Fenstern angebracht sind.

Die Parallelisierung betont die der unterschiedlichen Körperhaltung zum Trotz fast identische Geste des Pilleneinwerfens, die bei beiden Frauen zwischen Routine, gieriger Lust und Selbststilisierung changiert, und später betont sie, in einer rapiden Schnellfeuermontage, den "Zug" beim Glasausdrinken.

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In einer anderen Szene möchte eine reiche Hausfrau ein Kleid, das sie soeben ersteigert hat, auf die Stoffqualität hin befühlen. Zumindest sagt sie das, eigentlich geht es ihr darum, das Model, das dieses Kleid trägt, bloßzustellen: als eine Prostituierte (und damit, wenn ich das richtig verstanden habe, als das, was sie selbst einmal war und zu verdrängen versucht). Nachdem sie dieses Begehren äußert, kommt der Film fast zum Stillstand. Die Frau, die das ersteigerte Kleid trägt (gehalten im unschuldigen weiß, ihre Nemesis ist in Tigerkluft angetan), bewegt sich langsam, sichtlich ängstlich auf die Bieterin zu. Diese tastet den oberen Saum des Kleids und damit auch den Brustansatz des Models ab, unzweifelhaft ist das eine erotisch interessierte Geste. Aber dann greift sie zu, fasst das Kleid in der Faust, und bevor sie es dem Model vom Körper reißt, setzt Lung einen rabiaten Zoom ein: heraus aus der intim geframten Nahaufnahme zweier Frauen, die einen Moment der Zärtlichkeit im öffentlichen Raum teilen, hin zu einer Gesellschaftstotale, die gleich in eine Schockgroßaufnahme und danach in die unbarmherzige Mechanik des Sozialen übergeht.

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Es gibt Filme, die soziale Themen vortäuschen, um Schauwerte an den Mann zu bringen. Es gibt Filme, die Schauwerte in Aussicht stellen, um soziale Themen an den Mann zu bringen. Und dann gibt es Filme wie The Call Girls, die sich zwischen beidem nicht entscheiden müssen, weil sie sich damit begnügen, das filmische Potential jeder einzelnen Szene auszuloten, ohne gleich Kosten-Nutzen-Rechnungen aufzumachen.

Thursday, August 17, 2017

Executioners from Shaolin, Liu Chia Liang, 1977

I don't know why I never watched a Liu kung-fu film except for 36 Chambers. Maybe I unconciously held back until I was ready. Executioners immediately won me over, not only because its Bazinian approach to action (coupled with a magnificent use of the zoom lens), but also because of its organic feel. A world, in which every thought, every impuls is immediatly translated into choreographed physical movement. Also a world which is thoroughly sexualized, but somehow never in an obscene way. In the end, everything comes down to the (dialectically mediated) opposition of clenching one's own thighs vs kicking someone else's balls.

Tuesday, August 15, 2017

bored with übernommenen weisheiten

Ich frage mich, warum solche Texte es immer (oder wenigstens oft) nötig haben, Feindbilder aufzubauen. "The Hollywood of 1966 was bland and besieged" steht da. 1966 sind unter anderem die folgenden Filme in (oder nahe bei) Hollywood produziert worden:
7 Women (Ford)
The Appaloosa (Furie)
Arabesque (Donen)
El Dorado (Hawks)
Fantastic Voyage (Fleischer)
A Funny Thing Happened on the Way to the Forum (Lester)
Lord Love a Duck (Axelrod)
Nevada Smith (Hathaway)
Queen of Blood (Harrington)
Torn Curtain (Hitchcock)
Seconds (Frankenheimer)
Three on a Coach (Lewis)
Trouble With Angels (Lupino)
The Wild Angels (Corman)
Dazu viele Filme, die ich noch nicht kenne, aber von denen ich mir viel verspreche, von Leuten wie Levin, Douglas, Edwards, Tashlin. Die Legende vom fußlahmen old hollywood der 1960er könnte langsam einmal ad acta gelegt werden.