Wednesday, November 09, 2016

Zwischen Betäubung und Euphorie

Vanessa, Hubert Frank, 1976

Mitte der 1970er setzen sich Hardcore-Pornos im Kino langsam durch, in den USA und auch in einigen europäischen Ländern. Der nicht-explizite Sexfilm, der das kommerzielle Kinoprogramm seit Mitte des vorherigen Jahrzehnts dominiert, überlebt noch eine Weile, u.a. indem er extravaganter wird. Nackte Brüste auf der Alm reichen nicht mehr aus, auch die scheinheilig erhobenen Zeigefinger der Reportfilme verlieren langsam ihren Reiz. Stattdessen werden Hochglanz- und Exotiksexfilme produziert, manchmal beides in einem. Geprägt sind diese Filme von Weichzeichner, von Sex der nicht nach Sex aussieht (soll heißen: der noch einmal weniger nach Sex aussieht wie in anderen Filmen). Oft spielen sie im High-Society oder Showbiz-Setting, sehen aber gleichzeitig ziemlich billig aus.

Diese Filme laufen in den 1990er Jahren besonders häufig, häufiger jedenfalls als die Alm- und Reportfilme, im Nachtprogramm der Privatsender, insbesondere am Wochenende auf Kabel 1 und VOX. In meiner Generation waren das prägende Sendeplätze. Besonders beliebt war auch da ein Subgenre des Sexfilms, das man vielleicht als kinematografischen Sextourismus beschreiben kann: Filme, die an fernen Sandstränden oder in fernen Urwäldern spielen, die “exotische” Sexualität als Attraktion ausstellen, und darin auch eine Nähe zum Mondofilm aufweisen.

Das Schema eines Großteils dieser Filme ist simpel: Eine junge Frau reist zumeist alleine in ein fernes Land - die Gründe für die Reise sind egal oder jedenfalls austauschbar -, um dort erotische Abenteuer teils selbst zu erleben, teils zu bestaunen. Oft geht es dabei darum, dass die weibliche Hauptfigur angesichts der tropischen Sinnlichkeit lernt, ihre europäischen Hemmungen abzulegen. Auf Vanessa trifft das allerdings nicht wirklich zu, das ist vielleicht bereits ein Hinweis darauf, was an dem Film besonders ist.

Am Anfang der Welle steht ein anderer Titel: Emmanuelle, eine französische Produktion, 1974 mit Sylvia Kristel in der Haupt- udn Titelrolle realisiert, basierend auf einem Buch von Emmanuelle Arsan. In dem Fall ist die Hauptfigur eine Diplomatengattin, die nach Thailand fliegt. Die amerikanische Tagline zeigt, worum es geht: “Emmanuelle let's you feel good without feeling bad”. Gediegene Wohlfühlerotik steht auf dem Programm, befreit von allem Dreck und Schmutz, für ein bürgerliches Publikum, vielleicht für Pärchen, die nach dem Kino noch ein gutes Glas Wein trinken gehen, bevor sie selbst höchstens ein klein wenig enthemmt unter die Bettdecke schlüpfen.

Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob der außerordentliche Erfolg von Emmanuelle tatsächlich auf solche softpornografischen Gentrifizierungsmaßnamen zurückzuführen ist. Mir kommt es ganz im Gegenteil so vor, als mache der Versuch, die Filme mit vermeintlich hochklassigen, manchmal sogar hochkulturellen - es entstehen im Genre auch Literaturadaptionen wie Lady Chatterley’s Lover - Attraktionen aufzuwerten, machen sie freilich nur noch schmieriger. Man denke da zum Beispiel an den fauligen Edelschmier von italienischen Filme wie Desiderando Giulia; der jedenfalls ist verkommener als jeder Report-Film.

Der riesige Erfolg von Emmanuelle löste eine Schwemme von Sequeln und Nachahmern aus. Was “Django” in den späten 1960er Jahren für den Italowestern ist, ist “Emmanuelle” ein Jahrzehnt später für den Hochglanz-Softsexfilm. Soll heißen: Es entstehen wie am Fließband Sequels und Knock-offs, die allesamt die in einem weiblichen Vornamen geronnene Marke für sich nutzbar zu machen versuchen.

In den Folgejahren entstehen unter anderem:

Emmanuelle - Garten der Liebe

Emmanuelle - Amazone des Dschungels

Emanuelle und Lolita

Emmanuelle geht nach Cannes

Emmanuelle in Soho

Seoul Emmanuelle

Emmanuelle Tropical

Mach’ weiter, Emmanuelle

Wilde Emanuelle im Paradies der Lust

Emanuelle in Oberbayern
(Alternativtitel von Nackt und keß am Königssee)

Ein Spezialfall ist die Black Emanuelle-Serie mit Laura Gemser, einer Darstellerin, die das Original bald an Popularität überbietet; und die unter anderem in folgenden Werken auftaucht:

Black Emanuelle - Stunden wilder Lust

Emanuelle im Sexrausch

Skandalöse Emanuelle - Die Lust am Zuschauen.


Spätestens diese Filme haben auch nichts mehr mit Wohlfühlerotik zu tun, das ist dann wieder Bahnhofskino pur.

Auf dem Videomarkt und im amerikanischen Privatfernsehen war der Emmanuelle-Serie ein noch einmal deutlich längeres Nachleben vergönnt. Noch bis in dieses Jahrtausend entstanden dort Filme wie:

Eine ganze Serie von Emmanuelle in Space-Filmen

Emmanuelle the Private Collection: Emmanuelle vs. Dracula

Emmanuelle Through Time: Sex, Chocolate & Emmanuelle


Selbstverständlich fanden die Produzenten schnell heraus, dass der Trick auch mit anderen Frauenvornamen funktioniert:

Emanuela - Dein wilder Erdbeermund

Nea - Ein Mädchen entdeckt die Liebe

Felicity - Sündige Versuchung

Annie Belle - zur Liebe geboren


Sowie, vielleicht der beste Titel der Filmgeschichte:

Joy - 1 ½ Stunden wilder Lust

Vanessa kommt freilich ganz ohne Zusatz aus, der Name ist sich offensichtlich selbst genug. Die zugehörige Tagline: "Vanessa fängt da an, wo Emmanuelle aufhört".

Eine weitere Besonderheit: Die Emmanuelle-Welle war zwar ein weltweites Phänomen, und brachte unter anderem auch philippinische und brasilianische Genrebeiträge hervor; die meisten Filme stammen jedoch aus Frankreich und Italien. Deutschland war eher wenig vertreten. Die schwüle, etwas träge, zerdehnte Erotik der Filme im Fahrwasser von Emmanuelle hat es im deutschen Sexfilm eher schwer, genau wie die barocke visuelle Opulenz, die zumindest die ambitionierteren Beiträge auszeichnet. Im deutschen Sexfilm geht es meistens rustikaler zu, ein Kontrastprogramm wäre zum Beispiel Drei Schwedinnen in Oberbayern.

Es gibt aber auch mindestens einen deutschen Meister der Emmanuellesploitation: Hubert Frank. Frank drehte zwischen 1960er und 1980er um die 20 Filme, fast nur Sexfilme, in den unterschiedlichsten Tonarten. Seine größten Erfolg Ende der 1970er, Anfang 1980er mit exotischen Softpornos, die meisten mit festem Team:

Produzent Karl Spiehs

Kamera Franz X. Lederle

Und ganz wichtig:

Musik: Gerhard Heinz, der König des Pornofunk.

Auch Franks Filme haben hervorragende Titel: Teufelscamp der verlorenen Frauen, Die Insel der 1000 Freuden, Taifun der Zärtlichkeit, und eben, als erster in dieser Serie: Vanessa.

Das erste Mal gesehen habe ich den Film 2014 auf dem 13. Hofbauerkongress im Nürnberger Filmhauskino. Als wir da nach dem Film zusammenstanden, war das eine eigenartige Stimmung, irgendwo zwischen wohliger Betäubung und Euphorie. Vor allem ist uns das Titellied nicht aus dem Kopf gegangen. In meinem Fall hat das bis heute nachgewirkt:

„Vanessa / You are the girl of my dreams / Vanessa / you’re haunting all my reveries“

Vor allem aber immer wieder ein Wort: Vanessa. Der Film ist regelrecht besessen von dem Namen und von dem Mensch, der ihn trägt.

“Vanessa” - das ist ein Lockruf, ein Zauberspruch, eine Beschwörung. Beschworen, regelrecht angebetet wird natürlich die Hauptfigur, Vanessa, gespielt von Olivia Pascal, die von Hubert Frank und Spiehs für Vanessa entdeckt wurde, bald darauf allerdings im öffentlich-rechtlichen Fernsehen landete.

Die Hauptfiguren in Filmen dieser Art sind meist kaum mehr als ausgezogene Schaufensterpuppen. Das ist in Vanessa anders, würde ich behaupten. Auch Vanessa ist nicht im geringsten eine psychologisch nachvollziehbare Figur. Aber man hat doch das Gefühl, dass der Film wirklich neugierig auf sie ist. Gleichzeitig bleibt sie sonderbar opak. Anders als die meisten Emmanuelles hat sie tatsächlich ein Geheimnis. Allerdings behält sie es für sich.

Tatsächlich ist das eine eigenartige Rolle, gerade für einen Softporno: Vanessa kommt nach Hongkong, um da eine Erbschaft anzutreten, sie wird von mehreren Männern bedrängt, driftet durch ein Rotlichtviertel, eigentlich dreht sich alles was sie macht um Sex, aber gleichzeitig hat man das Gefühl, dass sie das alles gar nichts angeht.

Sylvia Szymanski hat das so beschrieben: “Sex geht durch ihre Augen und die Seele, ohne ihren Körper zu berühren.”

Weiter schreibt sie über den Film:

“Wie in den schönsten erotischen Heftchenromanen, so zersetzen auch hier die Tropen das Gemüt der weißen Frauen. Sie lassen sich auf Dinge ein, an die zuhause nicht zu denken wäre. Die Hitze öffnet ihre Schenkel – das sagt der Film sogar zweimal. Lernen sie sich jetzt erst richtig kennen? Gehen sie sich selbst verloren? Es ist so schwindlig, schwer, so schwül und rauschgiftsüchtig.”

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