Monday, September 28, 2015

La tete d'un homme, Julien Duvivier, 1933

Noch einmal früher französischer Tonfilmwahnsinn. Zu Beginn eine Kneipenszene, in der eine Frau eine Zeitungsmeldung nicht vorliest, sondern vorsingt, ohne Aufforderung, ohne Veranlassung, ohne Adressaten. Auch, ohne damit den Ton für den restlichen Film vorzugeben. Sie hat, scheint's, einfach gerade Lust dazu und der Film lässt sie gewähren. La tête d'un homme ist ein Film, in dem alle erst einmal ihr eigenes Ding durchzuziehen scheinen. Erst danach, hat man den Eindruck, ist Duvivier hinzu gekommen und hat sich überlegt, wie man das alles eventuell sortieren könnte

Dabei ist La tête d'un homme ausgerechnet eine Simenon-Verfilmung. Ich habe, da das eine Weile her ist, mag ich falsch liegen, die Maigret-Romane als geradezu exzessiv ökonomisch und aufgeräumt in Erinnerung. Maigret schafft Ordnung, natürlich nicht als eiserner Besen, sondern eher als ruhender Pol. Vielleicht schafft er auch dadurch Ordnung, dass er erst einmal ein wenig Unordnung zulässt, und dann lediglich diese primäre Unordnung in ordentlichen Grenzen einhegt. 

Duviviers Maigret ist durchaus die Ruhe selbst, und es gelingt ihm vorderhand durchaus problemlos, den falsch Verdächtigten zu entlassen und am Ende den echten Mörder zu stellen. Den Film selbst hat er allerdings keinesfalls unter Kontrolle. Zum Teil mag das technische Gründe haben, mit dem immer noch jungen Tonfilm zusammenhängen. Wobei mir zum Beispiel kein technischer Grund einfallen mag, der die Szene erklären könnte, in der die Befragung eines Blumenverkäufers per Rückprojektion (!) gezeigt wird. Vorne im Bild sieht man, mit unsicherem Bildstand, die offensichtlich im Studio entstandene Rückansicht eines Polizisten, im Hintergrund ist eine on location gedrehte Straßenszene zu sehen. Der Ton vernäht die beiden Ebenen äußerst notdürftig. Da sonst viele Außenszenen offensichtlich im Studio entstanden sind, und nicht einmal mit besonders vielen Statisten bevölkert werden, ist wirklich völlig unklar, was das soll.

Auch expressionistische, teils vielleicht von Langs M inspirierte Einstellungen stehen unvermittelt, unvermittelbar im Film herum. Oft kündigen sie das Auftreten Alexandre Rignaults an, der einen hochgewachsenen, tumben, aber auch rührend naiven Berufsverbrecher spielt, der am Ende sogar von der Aufgabe überfordert ist, einem Kind ihr Butterbrot zu stehlen (die entsprechende Szene enthält Point of Views sowohl des Verbrechers als auch des Kinds). Ein wenig erinnert er an ein tragisches Monster aus einem Universal-Horrorfilm, das einfach nur geliebt werden will, vor dem aber trotzdem alle wegrennen. 

Die eigentliche Sensation und die größte Sonderbarkeit ist aber Valéry Inkijinoff, der (da verrät man nun wirklich nicht zuviel; das ist von seinem ersten Auftritt an klar), den wahren Mörder spielt. Inkijinoff, der zweieinhalb Jahrzehnte später in Langs Tiger / Grabmahl-Doppel einen Auftritt hat (man müsste mal nachschauen welchen...), ist Duviviers Peter Lorre. Aber ein Lorre, der einfach nicht den Rand halten kann, der in jeder Szene, in der er auftaucht, sofort das Wort ergreifen muss, der jedem unter die Nase bindet, dass er der Schuldige ist; dass er aber bei der Tat so umsichtig war, dass er überhaupt so genial ist, dass er nie im Leben geschnappt werden kann. Die Leute um ihn herum, inklusive Maigret, glauben ihm das. Weniger, weil sein Verbrechen wirklich makellos war (die filmische Spurensicherung ist ambitioniert, kommt aber in den ihr gewidmeten, fast schon CSI-mäßigen Szenen zu keinen tragfähigen Ergebnissen), sondern weil der Typ einfach eloquent ist. Und außerdem nervt. Vielleicht läßt er einen ja in Ruhe, wenn man ihn auch in Ruhe läßt.

Sein Problem ist dann, dass er sich vom Dekollete einer Komplizin gefangen nehmen lässt. Tatsächlich beginnt es damit, dass sich sein Blick auf ihren Busen fixiert. Dann kennt er kein Halten mehr, bis zum bitteren Ende.

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