Friday, March 13, 2015

Vorstadtvariete, Werner Hochbaum, 1935

In einer Szene gegen Ende kommen drei Figuren in einem Gasthaus zusammen, die vorher vor allem damit beschäftigt waren, jeweils einzeln um die beiden Protagonisten herumzuscharwenzeln ("scharwenzeln": gleichzeitig ein Zustand und eine Handlung, als Amalgamat von beidem irgendwo zwischen ausgestellter Gemütlichkeit und verkappter Aggression zu verorten). Da wären der Vater der männlichen Hauptfigur (die ihrerseits eine verpreusst-verzichtlerischer Bauzeichner ist), von Hans Moser als fleischig-hanswurstene, schnurrbartbabblige Gemütlichkeit angelegt; dann der Bruder der Verlobten des Bauzeichners, ein feistes, gelecktes, geschäftstüchtiges Männchen, dessen spazierstockharte Volkstümlichkeit offensichtlich nur Fassade ist; sowie ein insgesamt im Film weniger zentraler dritter Mann, der im Heimatdorf des Bauzeichners lebt und die guten ländlichen Sitten mit ebenfalls latent aggressiver Gemütlichkeit durchexerziert.

Ansonsten scharwenzeln die drei, wie gesagt, vor allem um das zentrale Liebespaar herum, tragen ihre eigenen Interessen und Vorurteile an die auch ohne eine solche Einmischung alles andere als unproblematische Beziehung der beiden jüngeren, dem Scharwenzeln weniger mächtigen Hauptfiguren heran. Sie stellen sich dann meist zwischen die beiden, stellen ein paar Fragen, hören kaum auf die Antworten, kommen sofort ins beflissen Dozierende, in ein vor sich hin Labern, dem es nicht auf Inhalt, sondern auf kommunikative Dominanz ankommt. Jetzt aber sind sie allein im Gasthaus, allein in der Einstellung. Und nachdem sie sich gegenseitig abgeküsst haben, fangen sie an zu saufen.

Ich glaube, diese Saufszene ist in einer einzigen Einstellung aufgelöst, die einfach nur zeigt, wie die drei nebeneinander sitzen, trinken, interagieren (zum Beispiel: sich gegenseitig den Hut vom Kopf nehmen, wieder aufsetzen und so weiter); allzu lange dauert diese eine Einstellung auch gar nicht. Aber trotzdem ist das eine der großartigsten, eigenartigsten Kino-Saufszenen, die ich kenne. Ähnlich wie bei Hong Sang-soo hat der Rausch nichts Enthemmendes oder Befreiendes; aber etwas Transformierendes hat er (anders als bei Hong) schon: Hochbaum inszeniert den Suff als etwas, das Individualität zersetzt, die drei Männer scheinen fast miteinander zu verschmelzen, sie scheinen sich in einen einzigen, dreiköpfigen Organismus zu verwandeln, der vielleicht bald, steht zu befürchten, seine jetzige, zähflüssig-passive Existenzform hinter sich lassen wird, der sich bald erheben und hinaus in die Welt schreiten wird, um dort mit dann verdreifachter Macht, Körpereinsatz, Schmierigkeit nicht nur um den Verzichtler und seine bemitleidenswerte Braut, sondern um uns alle herumzuscharwenzeln.

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