Wednesday, March 11, 2015

Precode Dieterle 2

Man Wanted, 1932

Das US-amerikanische Kino der 1930er dürfte das einzige sein, das mir im Zweifelsfall alle anderen ersetzen könnte; das vielleicht wie von selbst alle anderen verdrängen würde, wenn ich mich noch etwas intensiver auf es einlassen würde. Allein die ersten Einstellungen von Man Wanted: Eine autonome Kamerabewegung beginnt auf einem Zeitschriftencover, bewegt sich dann durch den Vorraum der Chefredaktion derselben Zeitschrift, diverse Leute sitzen, stehen, arbeiten, warten, jeder hat eine Agenda... völlig unklar, was der Film aus diesem lebendigen Ganzen herausgreifen wird. Er lässt sich auch noch ein wenig Zeit, fokussiert erst einmal die Tür der, wie sich bald zeigt, Chefredakteurin: Editor Private - In Conference. (Der Film fokussiert nicht nur hier eher flüchtig. Dieterle-Filme können das gut, das flüchtig Fokussieren; etwas herausgreifen wie ein Buch, das man, wenn man auf Besuch ist, interessiert aus einem Regal zieht, deshalb aber noch kein commitment, keine 300seitige Zeitinvestition eingeht.)

So richtig gut ist der Film nicht einmal (darauf kommt es nicht an; das Dreißigerjahrekino hat nicht unbedingt höhere Qualität, nur manchmal die besseren Filme, mehr Meisterwerke findet man in ihm höchstens deshalb, weil es insgesamt mehr Filme hervorgebracht hat als die Kinos anderer Jahrzehnte - wichtiger ist, dass das Dreißigerjahrekino einen entspannteren Umgang mit diesen ganzen Qualitätsfragen pflegt, dass es einen Zugriff, einen Blick erlaubt, vielleicht privilegisiert, der nicht immer schon implizit kanonbildend ist). Genauer: Er müsste eigentlich besser sein, angesichts seiner Hauptfigur vor allem, der von Kay Francis hinreißend verkörperten Chefredakteurin Lois Ames. In mancher Hinsicht dürfte Man Wanted ein blueprint für den ein Jahr später entstanden Female gewesen sein (an dem Dieterle ebenfalls mitgearbeitet hat), der aber trotz einer deutlich weniger inspirierten Protagonistin noch etwas mehr Spaß macht, einfach weil er schon im Dekor durchgeknallter ist, alles etwas weiter treibt.

Man Wanted ist ein wenig wie das Büro von Francis: Schick und geschmackvoll (kreisrunde Holzvertäfelungen, Zimmerpflanzen, eine ganz besonders tolle weibliche Goldstatue), aber von einer nicht ganz nachvollziehbaren Dezenz eingehegt. Warum steht die Karrierefrau (die es auf so wunderbar unkomplizierte, und anders als in Female gar nicht unbedingt campaffine Art versteht, ihr sinnliches Verlangen zu kompartmentalisieren, also den husband in der einen Szene auf den Schoß zu nehmen und zu streicheln, ihn dann in der nächsten wegzuschicken, ihn dann später mit einem dezent auf dem Kopfkissen platzierten Beweisstück in die Schranken zu weisen) nicht zu ihrem materiellen Erfolg? Und warum bleibt es bei einem einzigen ernst zu nehmenden audiovisuellen Ausbruch aus den Interieurs, während einer Achterbahnfahrt?

Andererseits gibt es schon ein paar tolle Treppenszenen.









Zum ersten Mal wird der Hang Dieterles zur comicartig überzeichneten, nicht ganz in den Restfilm integrierten Vignette reflexiv: Frauenbeine springen von der Leinwand aufs Zeichenbrett über.



The Devil's in Love, 1933

Neben dem chronisch verclutterten MGM ist Warner das einzige Studio, dessen 30er-Housestyle ich recht durchgehend identifizieren kann. The Devil's in Love, eine in vieler Hinsicht ambivalente koloniale Fantasie, die im arabischen Raum spielt, hat Dieterle für Fox gedreht, und zumindest die beiden längeren Szenen, die das dazwischen noch einigermaßen warnerbrothersaffin vor sich hin schnurrende Melodram rahmen, würden sich in den Filmen, die er vorher für die Konkurrenz gedreht hat, fremd anfühlen, weil sie auf ein mythisches, bis in die Bildtextur hinein archaisches Register zielen.

Beide Szenen spielen auf einem Militärstützpunkt der französischen Kolonialmacht. In der ersten geht es um ein (erfolgreiches) Attentat auf den Kommandeur. Verdächtigt wird ein Arzt, dem dann (nachdem er schon in ein äußerst karges, lediglich aus grob kontrastierenden Licht- und Schattenwürfen zu bestehen scheinendes Gefängnis geworfen wurde) fliehen kann. Hinein in einen anderen, wie gesagt deutlich runder, geläufiger schnurrenden Film, dessen Begriff von Exotik, Abenteuer und Fremdheit sich ähnlich wiein Scarlet Dawn besonders deutlich an ornamental verzierten Fenstern kristallisiert.

Die stand-out-Szene kommt allerdings erst kurz vor Schluss, wenn der Film wieder zum kolonialen Stützpunkt zurückkehrt und der echte Mörder enttarnt wird: In einer genuin furcheinflößenden Szene wird erst das Bild des Opfers illuininert, dann der Verdächtige so lange mit reinem Licht geblendet, bis er sich der Brutalität der kinematografischen Herstellung von Evidenz beugt: Ja ich war's, und jetzt bitte der Tod. Die Szene dringt als Schock in einen vorher bisweilen etwas gehemmt wirkenden Film (auch im guten gehemmt; der Rassismus ist weit weniger schlagend als in Scarlet Dawn), er wird gleich danach verstärkt durch einen weiteren Schock: Die Araber greifen an, werden erst mit Maschinengewehren, dann mit Luftangriffen abgewehrt, ähnlich wie in Henry Hathaways (freilich deutlich stärkerem, durchdachteren) China Girl macht die Realität kolonialistischer Gewalt mit der Fiktion kurzen Prozess.









 (Screenshots, die in unlesbaren Bildern resultieren; auch das gibt es bei Warner nicht.)

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