Saturday, January 04, 2014

Hofbauerkongress Nummer 12, Nacht 2

Les filles sement le vent / Die Ernte der sündigen Mädchen, Louis Soulanes, 1961

Das zweite große Meisterwerk, so far. Eine relaxtere Aktualisierung von de Santis Riso amaro, schon noch fest im klassischen Erzählkino verankert... und doch irgendwie wild ins Kraut schießend (aber andererseits schießt das klassische Erzählkino vielleicht immer schon gerne wild ins Kraut...). Ein Übergangsfilm, duchaus in der Nähe zweier Lieblingsfilme des HK11: Barbara - Wild wie das Meer und (da sind die Parallelen deutlicher, bis hin zu einzelnen Motiven, den date-rape-Andeutungen, den jeweils erstaunlich matter-of-factisch behandelten Vergewaltigungsszenen) Where the Boys Are: Gruppen von Frauen, die in die Welt hinausgegangen sind, und jetzt einen eigenen Weg finden müssen, jenseits der Tradition. Die da erst einmal zusammengepfercht hocken und abschätzen, warten, was mit den Männern los ist, die draußen vor den Fenstern warten, sie umzingeln.

Schon der Einstieg ist toll: Zwei Männer im Fahrergehäuse eines LKWs, von der unruhigen Fahrt durchgeschüttelt. Erst dann der Umschnitt auf die Totale, auf den mit noch leeren Paletten beladenen Laster, der durch eine sonnenverbrannte Landschaft brettert. Zuerst der impact, dann die Verankerung in der Umgebung. Und dann, erst als drittes, die Geschichte. Die ist an sich durchaus ökonomisch gebaut: Die Bremsen des Lasters sind defekt, von Anfang an ist klar, dass sie nicht repariert werden, dass der Film weiter Fahrt aufnehmen wird, bis zum bitteren Ende. Später taucht, als weiteres und weitaus geläufigeres unheilvolles Vorzeichen, eine Pistole auf, die natürlich irgendwann auch abgefeuert werden muss, so wie die Bremsen irgendwann endgültig versagen müssen. Aber erst mal: die winkenden Frauen am Wegrand, bei der Feldarbeit.

Der Film spielt dann nicht on the road, sondern auf einer Obstplantage. Die Verteilung ist klar: Die Frauen sammeln das Obst, verpacken es und schlafen gemeinsam in einer Baracke. Die Männer scharwenzeln um sie herum und teilen sich in zwei Gruppen. Die einen sind Saisonarbeiter fürs Grobe und für den Abtransport der Ware, die anderen sitzen hinterm Schreibtisch: Die Ausbeuter und ihre Handlanger. Der Film fächert das auf, auf beiden Seiten: Bei den Frauen noch nicht einmal so sehr: da gibt es Kissa, die ihr Taschentuch im Wind den diversen Männern entgegen flattern lässt und ihre Brüste hochgeschnürt hat und die von den anderen Frauen heimlich beneidet und öffentlich verächtlich gemacht wird, und es gibt diese anderen Frauen, die nicht Kissa sind, die aber gerne Kissa wären (die nach hause laufen müssen, wenn sie abends raus gehen, in die nahe Stadt).

Bei den Männern ist es komplizierter. Da gibt es Armand, der ist manchmal zuviel auf einmal: Der vitale tolle Hecht, hinter dem alle Mädchen her sind, der klassenbewussteste Proletarier, der mobil macht gegen Ausbeutung (und physiognomisch auch in einem Eisensteinfilm gut aufgehoben wäre), der melanchlische Einzelgänger, ewig on the road. Vielleicht braucht ein Film, der sich ansonsten so weit auffächert, wie 
Les filles sèment le vent das tut, der mindestens ein halbes Dutzend Handlungsstränge parallel führt und der das völlig anstrengungsfrei zu tun scheint, der andauernd Seitenblicke wirft und doch jeden dieser Seitenblicke wieder produktiv macht (toll eine Szene mit einer schwarzen Tänzerin, die erst nur Dekoration ist, dann aber einen besonders hartgekochten Kurzdialog bekommt), einen solchen Anker. Dennoch haben mich die anderen Männer, die beschädigteren Männer, die Quartalssäufer, die verwöhnten Hysteriker, die sich ihre Pranken am verschwitzten Unterhemd abwischenden Fettsäcke, die dirty old men, die dirty young men, die abgeklärten Barkeeper, die alles schon einmal gesehen haben und deshalb genau wissen, wann sie vorsichtshalber die Cops holen müssen, sie alle haben mich deutlich mehr interessiert als Armand. Der dann freilich im tollen Finale doch der richtige Körper am richtigen Ort, nämlich in einer sehr "physischen" Duell- und Verfolgungsszene ist.

Wie sich das ein wenig Abgezirkelte der Gesamtstruktur (inklusive recht deutlich und auch recht deutlich nach marxistischen Maßstäben ausformulierter Arbeitskampfthematik) zu der Ästhetik des Seitenblicks verhält: nach einmal Sehen schwer zu sagen. Wie flexibel und souverän der Film in jedem Fall ist, zeigt eine schöne Szene, in der eine der Frauen auf einem der Fußheimwege von der Stadt kurz zurück bleibt, durchatmet, sich mit dem Film gemeinsam kurz auszuruhen scheint, und in der dann urplötzlich die dirty young men zu ihren Seiten erscheinend, sie einerseits eher spielerisch erschreckend - andererseits lässt der folgende Schnitt vieles offen, bzw im hoffentlich nicht allzu finsteren Dunkel.

Barbara, Walter Burns, 1970
La philosophie dans le boudoir / Das Paradies, Jacques Scandelari, 1971

Nehmt den Hippies die Kameras weg!

It's All for Sale, Alexander Maxwell, 1969

Albert Jenkins, der verschmitzte und zumindest dann, wenn er von einem bullig-niedlichen Masseur befummelt wird, regelrecht alberne Sexologe / Vertreter, darf seine Kamera dagegen behalten, hat er sie doch so findig in seiner Aktentasche verstaut. Da bleibt sie (meistens) starr und objektiv, während er selbst sich in die "Unterwelt des Sex" stürzt. Dazu hypnotische Gitarrenmusik. Nice.

Skaterdater, Noel Black, 1966

nice, Vorfreude auf LA.

Die Klosterschülerinnen, Eberhard Schröder, 1972

Wie schon bei Jenkins Eskapaden, war ich auch beim letzten Film des Abends ziemlich müde, insofern habe ich mir vorgenommen, den Film beizeiten, noch einmal konzentrierter zu sehen. Auf Anhieb hat mir das aber sehr zugesagt: Schröder humanisiert das Reportfilmgenre, so gut es eben geht. Und dass es so ganz gut dann eben doch nicht geht, weil es eben doch einen besserwisserischen Voice-Over-Kommentar gibt, der die Wahrheit über all die Klosterschulmädchen immer schon zu kennen scheint, das macht die Sache nicht weniger interessant. Denn man merkt sofort, dass Schröder alles daran setzt, die Mädchen eben nicht zu Fallbeispielen zu degradieren, dass er sie ganz im Gegenteil individualisieren möchte, und gerade in der zackig-militärischen Form, die der Film dann doch übernehmen muss, strebt viel auseinander. Fließend wechselt der Film vom knüppelnden Voice-Over zu den zerbrechlichen Erfahrungswelten der Mädchen, die sich heimlich aus der Obhut der Nonnen schleichen, dann zu den Nonnen selbst, die wiederum zwischen Voice-Over und den Mädchen zu vermitteln scheinen. Oder er springt in verfärbte Vergangenheiten, wo stets, wie automatisiert, traumatisierte Erlebnisse warten, die aber eben als solche erstaunlich ernst genommen werden und sich mit dem comic relief, den es natürlich auch wieder gibt, in einen strengen Gegensatz setzen.

Die Musik (Moroder) ist toll, aber die Kamera (Helmut Meewes, der eine erstaunlich kurze credit-Liste auf imdb hat) ist noch toller.

Der letzte Blick der neu angekommenen Schülerin gen Himmel...

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