Monday, December 02, 2013

Du und ich, Wolfgang Liebeneiner, 1938

Noch ein NS-Unternehmerfilm - nachdem ich kurz davor den eher vergessenswerten Fracht von Baltimore gesehen hatte, in dem sich zwei hanseatische Reedereien einen Wettlauf um einen kostspieligen Auftrag liefern und im Zuge dieses Wettlaufs alle Differenzen (auch die genderbezogenen) in Luft sich auflösen (und auch Liebelei und Liebe hat eine entsprechende Nebenhandlung), jetzt ein deutlich interessanterer Film von Wolfgang Liebeneiner: Eine (ich schätze mal) Prestige-, oder wenigstens Großproduktion über den Aufstieg des "besten Sockenschneiders des Erzgebirges" zum industriell arbeitenden Großproduzenten; gleichzeitig ein Film, der ein Unbehagen am Kapitalismus artikuliert, auf äußerst sonderbare Weise.

Das zeigt sich nicht zuletzt an der letzten Dialogzeile des Films: "Arbeitest Du eigentlich gern?", fragt da Friedel Schütz ihren Mann, "den Otz", wie der Sohn und Erbe des Schneiders Uhlich mit aus heutiger Perspektive durchaus komischer Penetranz den gesamten Film über genannt wird. Otz Uhlichs Antwort bleibt der Film schuldig. Die Frage wird nicht nur am Ende gestellt, sondern vorher in ähnlichen Wortlauten immer wieder, gerichtet dann stets an Vater Uhlich (Joachim Gottschalk, der wenig später mit seiner Frau und dem gemeinsamen Kind Selbstmord beging, weil die Gestapo vor der Tür stand). Was natürlich auch heißt: Das Unbehagen am Kapitalismus wird auf der Seite der Kapitalisten verortet. Und gestellt wird die Frage stets von den Frauen, den empfindsamen Frauen, die gleichzeitig untergründige, fast schicksalshafte (Uhlich Seniors Frau schickt ihn auf jene Reise, die seinen Aufstieg erst ermöglicht) Antriebskraft und schlechtes Gewissen des Kapitals sind. (Im Film, den man ökonomietheoretisch wohl eher nicht für voll nehmen sollte, manifestiert sich das schlechte Gewissen zusätzlich noch in Schuldscheinen, von denen man nie so recht versteht, was sie in der Handlung zu suchen haben. Besonders bizarr fällt das nach einem Zeitsprung auf, der den Aufstieg des Schneiders zum Kapitalisten überspringt; der jetzt saturiert und ergraut, wenngleich melancholisch wirkende Uhlich meint: "ich kann machen was ich will, die 30000 Mark Schulden werde ich nicht los"; seine Frau schaut aus dem Fenster und meint: "dafür haben wir jetzt das!" - eine gigantische Fabrik.)

Das ist nicht die einzige Schizophrenie. Eine andere manifestiert sich darin, dass Liebeneiner versucht, seine zeit- und epochengreifende Geschichte als einen Heimatfilm zu fassen. Das liebliche, ländliche Erzgebirge breitet sich in einer frühen, präindustriellen Szene aus, soweit das Kameraauge reicht. Was mit dieser Heimat passiert, wenn eine Fabrik in sie hineingestellt wird, scheint sich der Film nicht so recht zu sagen trauen. Oder zumindest: Er traut sich nicht, es zu zeigen, denn die richtigen Worte findet der Sockenproduzent an einer Stelle im Film schon: "Man sieht den Kirchturm gar nicht mehr, so hoch ist unsere Fabrik". Nicht nur in diesem Satz, auch in den Interaktionen zum Beispiel mit einem rumänischen Einkäufer (der im Stil einer bösartigen Karikatur eingeführt wird, aber, wie zB auch die Bänker und die anderen Katalysatoren der Kapitalisierung, bis zum Schluss eine ambivalente Figur bleibt) scheint der Film einzusehen, dass die Geschichte, die er erzählt, unweigerlich von jener Scholle weg führen müsste, an der er aber gleichwohl noch klebt. Der Kurzschluss von Kapitalinteressen mit einem territorialen Heimatbegriff, der von "Blut und Boden"-Sprüchen nie ganz weit weg ist (obwohl es, das ist schon ein Unterschied, um eine Heimat aus der Perspektive der Frauen geht, um eine Heimat, der vielleicht als alternativer Fluchtpunkt auch die Intimität dienen könnte; auch da ist der Film ganz explizit: "Du bist meine Heimat"), wäre dann der ideologische Einsatzpunkt des Films. Und das interessante am Film wäre dann, dass dieser Kurzschluss auf keiner Ebene so ganz funktioniert.

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Ich habe den Film in der Reihe "Als die Synagogen brannten" im Berliner Zeughauskino gesehen. Was die Kulturfilme im Vorprogramm angeht, glaube ich langsam ein Muster erkennen zu können. In "Riesen deutscher Käferwelt" ging es darum, lauschigen Kameraschwenks entlang mitteleuropäischer Mischwälder ihre Lauschigkeit auszutreiben, mithilfe von martialischen Käferaufnahmen. In "Die Kleinsten vom Golf von Neapel" wird erst visuell und per Off-Kommentar die Schönheit eben jener süditalienischen Meeresbucht beschworen - und dann folgen eine knappe Viertelstunde lang Mikroskopaufnahmen von Weich- und Krustentiere von ausgesuchter, schon fast atemberaubender Hässlichkeit. Am Ende noch einmal eine Eintellung lang die jetzt gründlich desavouierte Schönheit des Mittelmeers.

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