Saturday, August 10, 2013

No Rush

Einführungsvortrag zur Filmreihe "Kinematografie Heute: Philippinen", Zeughauskino, 7.8.2013.

Das Programmsegment Kinematografie Heute gibt es hier im Zeughauskino seit einigen Jahren; es stellt eine Verbindung her zwischen den historischen Programmen zur deutschen, europäischen und weltweiten Filmgeschichte, die hier normalerweise laufen, und dem, was Kino und Film heute ist. Dass in den Kinematografie-Heute-Programmen noch immer Nationalkinematografien im Zentrum stehen, mag einem, angesichts einer globalisierten Gegenwart, fast schon anachronistisch vorkommen. Ich glaube jedoch, dass gerade die Philippinen-Reihe zeigt, warum solche vermeintliche Einschränkungen nach wie vor sinnvoll sein können. Dazu gleich mehr 
Zunächst aber gleich eine andere Einschränkung: Diese Reihe möchte keinen Querschnitt der gesamten philippinischen Filmproduktion der letzten Jahre zeigen. Das könnte sie mit zwölf Filmen auch gar nicht leisten, dazu ist dieses Kino zu reichhaltig und zu vielfältig. Ganz außen vor bleibt zum Beispiel das populäre Mainstreamkino der Philippinen; das befindet sich zwar seit geraumer Zeit in der Krise und kann an den heimischen Kassen Hollywood nur in Ausnahmefällen Konkurrenz machen, nach wie vor erreichen jedoch Jahr für Jahr mehrere Dutzend meist billig heruntergekurbelte Genrefilme, hauptsächlich Melodramen und Komödien, die Kinos. Dass es auch in diesem Bereich Interessantes zu entdecken gibt, hat dieses Jahr in Cannes Erik Mattis Thriller “On the Job” gezeigt.
Die Reihe Kinematografie Heute: Philippinen beschränkt sich dagegen auf das neue Autorenkino, das in den letzten Jahren weltweit von sich reden machte und das mit dem populären philippinischen Kino sehr, sehr wenig gemeinsam hat. Die Reihe besteht ausschließlich aus Filmen, die unabhängig und mit zumeist extrem geringen finanziellen Mitteln produziert wurden; Filme, die auf den Philippinen selbst oft kaum gezeigt werden können, obwoh sie auf den größten internationalen Filmfestivals gefeiert werden - Filme, die sich oft ein ganz anderes Bild von ihrem Publikum machen als ihre populärkulturellen Pendants. Lav Diaz sagt in einem Interview über einen seiner älteren Filme:if you cannot sit through ten hours this time, I will wait for you. Maybe ten years from now you can watch it. I will wait for that. Art can wait. There is no rush.” Keine Angst: Die beiden Filme von Lav Diaz, die wir in diesem Programm zeigen, dauern nur jeweils sechs Stunden. “Art can wait” und “no rush”: Das sind wichtige Einsprüche nicht nur gegen die Atemlosigkeit des Kommerziellen, sondern zum Beispiel auch gegen den Weltpremierenfetisch des gegenwärtigen Festivalkinos. Zu dem zumindest ein Teil der hier präsentierten Filme ein durchaus gespanntes Verhältnis unterhält. 
All das heißt nicht, dass das Junge Philippinische Kino nichts zu sagen hätte über die Philippinen. Im Gegenteil: Möglicherweise mit Ausnahme des Neuen rumänischen Kinos fällt mir keine Kinematografie ein, die sich derzeit so intensiv, fast schon manisch, mit Vergangenheit und Gegenwart ihres Herkunftlandes auseinandersetzt, wie das die philippinische tut. Wieder und wieder versuchen die Filme, sich einen Reim auf das Land zu machen, in dem sie entstehen. Vielleicht ist das tatsächlich der einzige gemeinsame Nenner, auf den man die Filme, die hier in den nächsten Wochen zu sehen sein werden, bringen kann. Denn auch wenn die Regisseure und Regisseurinnen, die sie hier kennenlernen können, sich gegenseitig kennen, oft gemeinsam arbeiten, gegenseitig in ihren Filmen mitspielen, gegenseitig ihre Filme produzieren, so gilt doch trotzdem, was schon der Titel einer Buchveröffentlichung zum jungen philippinischen Kino andeutet: This Is Not a Film Movement. 
Es gibt - und das ist ein Unterschied zu Rumänien - keinen “philippinischen Stil”, den man zum Beispiel an einer bestimmten Erzählform, oder an bestimmten filmtechnischen Parametern festmachen könnte. Die fiebrigen Handkamera-Gegenwartsanalysen eines Brillante Mendoza, die Punk-Extravaganz von Khavn de la Cruz, die hypnotischen Zeitbilder bei Lav Diaz: all dies hat miteinander nichts gemeinsam - außer eben einem unbedingten Bezug auf das, was Raya Martin, ein weiterer wichtiger Regisseur dieses Kinos, einmal “The Prolonged Sorrow of the Filipinos” genannt hat; einen unbedingten Bezug auf die drei konsekutiven Kolonisierungen durch Spanien, die USA und Japan, die die philippinische Geschichte über Jahrhunderte prägten; auf die verheerenden Jahre der Marcos-Diktatur; auf die zahllosen ökonomischen, sozialen und politischen Probleme, die das Land auch heute noch - dem Wirtschaftsboom der letzten Jahre zum Trotz - prägen. 
Fast schon böswillig scheint es da, wenn diesen Filmen pauschal Miserabilismus oder Elendspornografie vorgeworfen wird. Realismus ist natürlich auch im philippinischen Kino ein Effekt von Technik - das verwandelt ihn aber noch lange nicht in eine Lüge. Nur ein Beispiel: Der junge Regisseur Pepe Diokno hat für seinen Debütfilm “Engkwentro”, den sie gleich sehen werden, das Armenviertel, in dem der Film spielt, als aufwändige Studiokulisse nachgebaut - in unmittelbarer Nähe eines realen Slums. Gerade durch seine brüchige Artifizialität entwickelt der Film, glaube ich, seinen außergewöhnlichen Sog. 
Gemäß der prekären Ökonomie, in dem es entsteht, ist das Neue Philippinische Kino keines der großen, in sich selbst ruhenden Meisterwerke; sondern eher eines des ewigen Provisoriums - und des kreativen Experiments. Die außergewöhnlichen Freiheiten, die sich dieses Kino nimmt, hat auch etwas zu tun mit der Filmtechnik. Wie Sie dem Programm entnehmen können, werden fast alle Filme des Programms digital projiziert, viele davon in heutzutage fast schon exotischen Formaten wie DigiBeta oder Beta SP. Das ist in diesem Fall keine Frage der Bequemlichkeit: Das Independentkino der Philippinen setzte früher und konsequenter als Filmschaffende der meisten anderen Länder auf digitale Technik 
Dass die Digitalisierung im Kino nicht nur in Oberflächenglanz und überdimensionierten Effektshows resultieren muss, dass sie nicht einfach nur den Look der Filme verwandelt - sondern, dass sie auch eine neue Kontaktzone zwischen Film und Leben herstellen kann: auch das zeigt, hoffe ich, die Filmreihe Kinematografie Heute: Philippinen. Vielen Filmen gemeinsam ist, glaube ich, eine Konzeption von Kino, die nicht mehr vom fertigen Produkt und seiner Platzierung auf dem Markt ausgeht, sondern von der Utopie eines Filmschaffens, das kontinuierlich mit dem Alltag mitläuft: mal als audiovisuelles Tagebuch, mal als versponnener Tagtraum, mal als historisches Erinnerungsbild, mal, wie im Film des heutigen Abends, als wütender politischer Kommentar. In diesem Sinne versammelt die Reihe nicht einfach nur ein paar Filme, die zufällig alle in den letzten Jahren entstanden sind, sondern sie untersucht tatsächlich mit jedem Film neu, das hoffe und glaube ich zumindest, was Kinematografie heute alles sein kann.






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