Thursday, February 02, 2012

Bluebeard, Edgar G. Ulmer, 1944

Menschen, die Puppen ihre Stimmen leihen und die an Fäden ziehen, um ihre Gliedmaße zu bewegen. Die Puppen, die irgendwie für Menschen einstehen, deren geschnitzte Holzkörper in Konkurrenz zum menschlichen treten. Der (lange) Blick der Kamera aufs Puppenspiel (Faust, Mephisto, Gretchen, Körper, die verkauft, verloren und am Ende doch "errettet" werden), der gleichzeitig der Blick dreier junger Frauen auf eine Bühne ist. Der Puppenspieler (John Carradine, ein Wahnsinnstyp), der zurück blickt, durch ein Loch im Vorhang vielleicht, so genau weiß man das nicht, denn Bluebeard spielt in einem rein poetischen Raum, der sich durch narrativiertes Begehren strukturiert und durch nichts anderes. Ein Exilantentraum vom alten Europa ist das auf den ersten Blick, wie es ihn bei Lubitsch so oft gegeben hat, aber das noch halb vormoderne Europa des 19. Jahrhunderts ist bei Ulmer nur Behälter, an ihm interessiert nur die strangeness, das Außerweltliche: keine Welt, an die man im starken Sinne glauben muss, umso leichter und umso eindringlicher ist sie libidinös überformbar.
Es gibt in diesem Serienkillerfilm keine "Zwischenszenen". Niemand muss sich hier von einem Ort zum anderen bewegen (es sei denn, er landet in einem dunklen Verließ unterhalb der Straße, das seine Seele spiegelt), nicht einmal Türen müssen geöffnet werden (Türen sind höchstens dazu da, um durchs Schlüsselloch zu spähen), der Film, die Montage springt mühelos auf jede Erregung auf, da wird keine Zeit, kein Raum ausgelassen (auch nicht in der Rückblende kurz vor Ende), das sind keine Elipsen, das ist ein einziger, dicht gefügter erotischer Exzess, da würde nichts dazwischen passen, es geht um Blicke und Zugriffe, nicht um rational erschließbares Handeln, um Ausdrucksbewegung, nicht um Fortbewegung.
Eine der Kolleginnen des Puppenspielers ist sein erstes Opfer. Irgendwie ist sie ununterscheidbar geworden von ihrer Puppe, so genau habe ich das an dieser Stelle nicht verstanden, der sound der Kopie war von einem "Grundrauschen" (das aber irgendwie doch zu diesem Film und seinem eigenen Grundrauschen passte) beeinträchtigt. Zumindest gibt es dann noch eine zweite, wichtigere Übertragung: Der Puppenspieler ist hauptberuflich Maler, man erkennt seine Bilder an ihrem "Hintergrund" und daran, dass die auf ihnen abgebildeten Frauen tot sind, weil irgendetwas passiert, wenn ihre Schönheit als Bild gebannt ist, sich materialisiert hat. Die Bilder, die der Mörder malt, sehen nicht, wie in fast allen anderen Hollywoodfilmen über Künstler, abgeschmackt und cheesy aus, sondern genuin sonderbar, sie sind sichtbar demselben Geist entsprungen wie der Film, in den sie eingelassen sind.
Erotisierte Blickräume, stets für die Kamera inszeniert, von Szene zu Szene akkumulieren sich da die Spannungen. Wenn der Mörder dann sein letztes Bild malt, wenn er da vermittelt über zwei Spiegel sein Model anschaut und das Model aber, weil dieser Filmwelt die physikalischen Gesetze halt völlig egal sind, ihn wiederum nicht sehen kann (der filmische Blick geht immer nur in eine Richtung, der Kamerablick impliziert, zumindest bei Ulmer, nicht, wie der im echten Leben, den Gegenschuss, das Selbstgesehenwerdenkönnen). Während "im Nebenzimmer" und "vor der Tür", aber eigentlich als Teil derselben erotischen Membran, die anderen warten, die Schwester des Models, die Polizei, der durchgeknallte, aus dem Weimarer Kino herübergeschwappte langbärtige Kunsthändler.
Ich saß im Babylin Mitte, Kino zwei, fast in Berührdistanz zur Leinwand und dem auf sie projizierten, heruntergerockten 16mm-Film, den ich fast in seiner brüchigen, schlierigen Material greifen zu können meinte und ich konnte kaum glauben, was ich da sah. Ich muss jetzt alles sehen von Ulmer.

4 comments:

Ekkehard Knoerer said...

Nun, da ist vieles wirklich nicht sonderlich interessant. Aber eine Handvoll großartiger bis faszinierender Filme sind darunter. (Ich habe mal einen Aufsatz geschrieben: "The Pleasures of the “Not-Quite Movie”: Edgar G. Ulmer's “Murder Is My Beat” and “Daughter of Dr. Jekyll”". Dieses "not quite" gilt schon für ziemlich viele von Ulmers Filmen.)

Lukas Foerster said...

ja, ich habe auch einen link zu dieser ulmer-konferenz mit deiner (und stefanies) beteiligung entdeckt. ich vermute mal, dieser sammelband (essays on the king of the b's) ist in diesem zusammenhang entstanden?

Ekkehard Knoerer said...

Ja, das war eine recht erstaunliche Veranstaltung, in Olomuc, Ulmers Geburtsstadt, ziemlich weit im Osten von Tschechien. Und seine Tochter war da, alles etwas unwirklich. Der Band ist durchwachsen, ich kann ihn Dir gerne mal leihen.

Christoph said...

Das klingt alles ziemlich fantastisch, auch wenn ich immer wieder erstaunt bin, wie "architektonisch" du Filme zu sehen scheinst. Aber auch inspiriert, ich entwickle seit zwei Jahren auch immer mehr einen Hang dazu.