Thursday, June 30, 2011

Pursued, Raoul Walsh, 1947

Ich kannte bisher nur zwei Walsh-Filme: They Drive by Night und The Roaring Twenties, zwei ausgezeichnete Filme, doch wie gut Walsh wirklich ist, habe ich erst jetzt erkannt. Vielleicht auch, weil Pursued mein erster Walsh im Kino war. Die Geschichte, die Pursued erzählt, ist, wenn man von der Amalgamierung des Westerns und des Film Noir absieht, nicht wirklich außergewöhnlich; ein schon eher trashiges Melodram mit freudianischen Untertönen, das nicht immer besonders viel Sinn ergibt, vor allem, was die Motivation der beiden weiblichen Hauptfiguren angeht. Robert Mitchum spielt einen Farmer, der als Kind adoptiert wurde, sich in seine Adoptivschwester verliebt und mit seinem Adoptivbruder in Konkurrenz tritt. Schnell wird klar, dass die Adoptivmutter mehr über seine Vergangenheit weiß, als sie ihm und den Zuschauern mitteilen möchte.
Walshs Inszenierung verwandelt ein mittelmäßiges Skript in ein Meisterwerk. Ich kenne wenige Hollywoodregisseure, die den Bildraum derart brillant kontrollieren wie Walsh es in Pursued tut. Es gibt keinen toten Raum in diesen Bildern, die gesamte Breite und Höhe der Leinwand ist sinnhaft besetzt. Wenn Robert Mitchum vor seiner Ziehmutter kniet und dann aufsteht, folgt ein Schnitt, der aufgerichtete Mitchum benötigt ein anderes Framing als der kniende. Elegante Schnitte und exakte, dynamische Reframings gibt es im gesamten Film, die fast schon unglaublichen Actionszenen wären eine eingehendere Analyse und einen eigenen Blogpost wert. Klassische Schuss-Gegenschussaufnahmen gibt es sehr selten, der Film bevorzugt komplexere Inszenierungsformen (ohne jemals auch nur ein wenig prätentiös zu werden, da ist auch nie etwas bloß pittoreskes), mal gibt es silhouettenartige Effekte (eine Figur steht im Vordergrund, "schneidet" eine Passform aus dem Bild heraus), oft drängt sich eine dritte Person in die Komposition. Mitchum und sein Kontrahent John Rodney stehen dann zum Beispiel an den Bildrändern einander gegenüber, ihre massiven, stillgestellten Körper begrenzen das Bild wie zwei Säulen, dazwischen bewegt sich Theresa Wright (die den sonderbaren Namen Thor trägt und trotz der absurden Dinge, die das Drehbuch ihr zu tun vorschreibt, ziemlich toll ist, mit ihren kleinen, harten Falten und die Augen, mit ihren strengen Blusen, die manchmal von einem weißen Band, manchmal von einer schwarzen Schleife zusammengehalten werden). Oder auch: Mitchum steht rechts im Bild vor dem Fenster, durch das Wright in Wut eine Münze geworfen hat, er blickt in Richtung des aufgeplatzten Fensters, sie taucht links im Bild in der Tür auf, blickt auf ihn, es entsteht eine sonderbare Dreiecksstruktur, in der bereits die gesamte Liebesgeschichte zwischen den beiden vorgezeichnet scheint.
Sehr wichtig ist dem Film der Unterschied zwischen Innen und Außen. Genauer: ein Drang von innen nach außen, der gleichzeitig einer der Regie und einer der Mitchum-Figur ist. Mitchum und Wright stehen am Fenster und blicken hinaus. Ihr genügt es, innen zu stehen und den Mond vom Wohnzimmer aus zu betrachten. Schon das ist fast zu viel, ihr friert, sie holt sich einen Schal; als sie zurückkehrt, rauschen die Vorhänge im Wind, Mitchum hat es nicht drinnen gehalten, er steht vor dem Haus, in der Freiheit. Die Dynamik setzt sich fort, immer wieder drängt und lockt er sie heraus, immer wieder bittet und trickst sie ihn hinein. Auch der Film fühlt sich in den Wohnzimmern, die er mit sehr viel Bedacht einrichtet, nicht wohl. In den Innenszenen ist der Bildraum oft von mehreren Lampen begrenzt. Die Lichtquellen bedrohen die Figuren, zingeln sie ein, nehmen sie gefangen. Wenn man ihnen zu lange ausgesetzt ist, muss man einfach verrückt werden. Es ist sicherlich kein Zufall, dass Wright, als sie eigentlich Mitchum erschießen will, statt dessen eine dieser Lampen trifft; unwillkürlich hat sie erkannt, was ihr das Leben zur Hölle macht: nicht der Cowboy mit dem schläfrigen Gesicht, sondern die bürgerliche Welt, in die sie ihrerseits über weite Strecken des Films mit aller Macht hineindrängte. Jetzt erst kann sie sowohl die weiße als auch die schwarze Beengung um ihren Hals ablegen. (Erst recht ist es kein Zufall, dass der Film nicht innen, sondern außen endet, mit einem Bild, das an Fords Stagecoach erinnert. Wie ernst kann man dieses Bild bei Walsh nehmen? Wieviel hängt davon ab, wie ernst man es nehmen kann?)
Es ist nicht nur ein romantischer Begriff von Freiheit, der sich in den beschriebenen Techniken und Szenen artikuliert. Dahinter steht eine radikale politische Position. Während John Ford an den grundsätzlichen Wert der Gesellschaft, deren Versagen er immer wieder betrauert, durchaus noch glaubt, ist Pursued im Kern ein anarchistischer Film. Die bürgerliche Ordnung, die sich bereits weitgehend verfestigt hat (der einzige Fluchtpunkt außerhalb derselben, der dem Film bleibt, ist eine einsame Hütte in der Prärie), ist selbst in ihren euphorischen Momenten ein Unterdrückungszusammenhang: Wenn Mitchum als Kriegsheld in seine Heimatstadt zurückkommt, umringt ihn eine jubelnde Menge, die ihn mit mehreren Lassos bewirft und einfängt. Das ist das Bild von Geseellschaft, das der Film zeichnet; auch das von Familie: Wenn Mitchum erkennt, dass Wright ihn heiraten möchte, ist er bereit, das "crazy game" der bürgerlichen Eheschließung mitzuspielen. Wo im Kino hätte jemals ein "Just Married"-Schild derart gloomy und unglücksschwanger gewirkt wie in Pursued? Die Szene, in der die Jury sich berät, dabei eine "Teekanne" (=Whiskeyflasche) kreisen lässt und am Ende den auch tatsächlich unschuldigen Mitchum freispricht, könnte auch in einem Ford-Film autauchen. Allerdings würde Ford die Szene niemals in derselben Art filmen. Die Männer lassen die Flasche kreisen, tauschen sich über den Fall aus und werden schließlich von einer Autoritätsfigur am Kopfende des Tischs zur Ordnung gerufen. Walsh zeigt das Gespräch der Männer in einer beengenden, brutalen Totalen, von schräg oben, bei schwacher Beleuchtung; tumbe Säufer, die sich in fahle Lichtbündel auflösen. Am Ende der Beratung mag zwar die richtige Entscheidung stehen, es ist aber eindeutig die falsche Welt, in der entschieden wird.

Wednesday, June 29, 2011

Zwei Sehnsuchtsorte

Von einem Besuch Anfang des Jahres in Barcelona sind mir Erinnerungen an zwei Orte geblieben. Nicht geblieben ist das Museu d’Art Contemporani, der Grund meines Aufenthalts. Da haben mich die Skateboarder auf dem Vorplatz im Großen und Ganzen mehr interessiert als die Ausstellungsobjekte.
Entdeckt habe ich statt dessen das einzige Originalversionen-Multiplex der Stadt: ein gutes Dutzend Säle, alle digital bespielt. Das Icaria liegt unweit von Barceloneta (auch das ein Sehnsuchtsort, klar, aber einer der eher konventionellen Sorte) fast direkt am Ufer, man braucht, das ist eine Entdeckung, die mich nicht mehr losgelassen hat seit dem Besuch, zu Fuß weniger als fünf Minuten von der Leinwand zum Sandstrand. Das Kino ist Teil eines Einkaufszentrums, welches alle Grundbedürfnisse befriedigt und seinerseits eingelassen ist in einen gewaltigen Gebäudekomplex, dessen Fassade mehrere hundert Meter einnimmt, oder wenigstens einzunehmen scheint. Dass das Einkaufszentrum und vielleicht auch die Kinoräume selbst während den Olympischen Spielen 1992 als Umkleideräume für die Sportler dienten, lese ich erst jetzt. Ich weiß nicht so recht, ob das den Ort noch einmal zusätzlich auratisiert. Ich würde fast sagen: eher nicht.
Der zweite Sehnsuchtsort ist weniger die Kinemathek der Stadt selbst, obgleich der schöne, große, nicht falsch prunkvolle sondern ganz im Gegenteil mit einem banalen Teppichboden ausgelegte Kinosaal mir auch sehr gut gefallen hat (bespielt wird der Saal doch etwas allzu konservativ, dafür kostet der Eintritt nur 3€, ermäßigt 2€, ich habe dort Stanley Donens wunderbaren It's Always Fair Weather gesehen), sondern vor allem die, wenn ich mich richtig erinnere, schlicht "Cafe Cinema" benannte Kneipe im Eingangsbereich. Da die Kinemathek nicht in der Innenstadt, sondern in einem normalen Wohnviertel gelegen ist, dient das "Cafe Cinema" gleichzeitig als Stammkneipe einiger Anwohner und als Treffpunkt für die Kinobesucher. Patates Braves, ein Buch und Bier, dann ins Kino, an den Strand, ins Meer, wieder ins Kino; damit ich es wenigstens einmal geschrieben habe.

Wednesday, June 22, 2011

Roadie, Alan Rudolph, 1980 (American Eighties 3)

Wenn ich nach den bisherigen Sichtungen einen Film auswählen müsste, der das Jahr 1980 im amerikanischen Kino repräsentieren sollte, dann wäre das Alan Rudolphs Roadie: Ein klaumakiges Rock'n-Roll-Roadmovie, dessen Hauptrolle ausgerechnet von Meat Loaf ausgefüllt (jaja: im Wortsinn) wird. Der hängt anfangs bei seiner Hillbillie-Familie in der gemeinsamen, reichlich sonderbaren Behausung ab: Der Vater hat sich, warum auch immer, eine Art Multi-Screen-TV-Installation ins Wohnzimmer gebastelt, die Schwester und ihr geheimer Lover haben Sex in einer Telefonzelle, die außen am Haus klebt und per Knopfdruck nach Innen befördert werden kann. Der gesamte Film ist so derangiert wie dieser Wohnort.
An die Rocker gerät Meat Loaf zufällig, er passiert mit seinem Truck den Tourbus auf der Landstraße, sein Blick bleibt an Kaki Hunter hängen (falsche Frontzähne schräg ins Gesicht geklebt), einem Groupie, das natürlich am Ende doch keines ist. Es geht dann auf Tour mit u.a. Hank Williams Jr., Blondie und am Ende auch noch Alice Cooper, es gibt chaotische Kneipenschlägereien, riesige Biergläser, Kokain im Waschmittel, alle tragen gemeingefährliche Sonnenbrillen.
Alan Rudolph hat vom Siebzigerjahrekino die Freiheit, das Sprunghafte übernommen, sein Film vermeidet noch den Anschein von Konsequenz, jede einzelne Szene scheint etwas Neues auszuprobieren, nur um das Ausprobierte dann gleich wieder fallenzulassen. Vor einem Konzert eine kurze Montagesequenz, rhythmisch angepasst an die Off-Screen-Musik; später hetzen Meat Loaf und Kaki Hunter durch die Straßen in Richtung Alice-Cooper-Konzert, die Kamera ist dann plötzlich ganz hoch oben, bei den geometrischen Formen der Wolkenkratzer, nach drei Einstellungen city symphony dreht sie sich wieder nach unten und kehrt zurück zum Boden. Einmal wird die Beliebigkeit sogar reflexiv: "Heutzutage wissen sie nicht mehr, wie man ordentliche Verfolgungsjagden dreht" sagt irgendjemand zu irgendjemand anderem, die direkt anschließende Verfolgungsjagd ist dann auch tatsächlich eine der ineffektivsten der Filmgeschichte. Da rasen dann die Autos immer wieder durch dieselbe Totale, mal von rechts nach links, mal von links nach rechts.



Die Formen haben sich verflüssigt, aber nicht, um für eine kohärente künstlerische Position verfügbar, individualisierbar zu werden. Vieles, sehr vieles ist falsch an diesem Film, aber irgendwie macht das nicht viel aus. Es steckt kein System, kaum noch ein Autor hinter der Falschheit. Vielleicht muss der Film durch das Falsche, durch die schrottigen Klamaukszenen zum Beispiel, oder durch die nicht mal mehr ernsthaft reaktionären Hillbillie-Impressionen hindurch (so wie man, wenn man eine Stadt besucht, zuerst die hässlichen Vororte durchqueren muss, bevor man ins Zentrum gelangt; es ist halt ein Film, der sich durch eine Welt bewegt, an der vieles grundfalsch ist und in der es keine Ursprünglichkeit gibt, die vom Falschen frei wäre, ein Film auch, der sich auf diese Welt einlässt, der sie nicht, oder nur sehr grob filtert), um dann plötzlich doch wieder großartige Bilder finden zu können. Die man dann aber auch nicht mehr einem Künstlersubjekt zuschreiben kann. Zum Beispiel das letzte Konzert; das findet in einer Halle statt, die ausschaut wie die im Finale von The Parallax View. Mit einem Mal wird der Raum abstrakt, schluckt die sich sonst so vital gebenden Figuren.





Meine liebste Szene kommt etwas früher: Blondie geben vor aufgemalten Bohrtürmen ein Konzert, Debbie Harry singt Ring of Fire.

Thursday, June 16, 2011

The Exterminator, James Glickenhaus, 1980 (American Eighties 2)

Wenn man den Achtzigern übelwollen würde, müsste man eine ihnen gewidmete Filmreihe mit dem durch und durch asozialen, minimalistischen Expoitationfilm The Exterminator beginnen. Für eine sehr schöne Besprechung im Kontext des Actionfilmgenres siehe die Himmelhunde, hier nur ein paar Impressionen. Ein kurzer Alptraum-Prolog in Vietnam mit einem nicht einfach nur abgeschnittenen, sondern sanft nach hinten kippenden Kopf und jeder Menge bunt schimmernden Explosionen hinter einem Hubschrauber of hell leitet den Film ein; direkt darauf folgen zur Titelsequenz Ansichten der Freiheitsstatue und der New Yorker Skyline bei Nacht. Dazu läuft ein warmer, sanfter, souliger Song. Das macht der Film dann immer wieder: Brutaler, stumpfer Sadismus, durch keinerlei aufwändiges Dekor oder auch nur irgendwie ansprechende production values gemildert (gut inszeniert ist nur der Vorspann, von seinem eleganten Right-Wing-Avandgarde-Meisterwerk The Soldier scheint Glickenhaus hier in technischer Hinsicht eher zwei Jahrzehnte als zwei Jahre entfernt), trifft auf smoothe Seventie-Tunes; als wollte James Glickenhaus dem gerade zu Ende gegangenen Jahrzehnt auch noch seine musikalische Unschuld rauben.
Der Films ist sparsam ausgeflaggt: die vertrottelten Schläger hängen sich Che-Plakate ins "Clubhouse", der Exterminator liest lieber Sartre - und das "Anarchist Cookbook", der Polizist trägt eine blaue Nylonjacke, die er direkt in der Hölle erworben haben könnte. Kleine Hinweistafeln, die soziale Verortungen vornehmen, die aber in keiner Weise in den Film hineinführen. Eine tatsächliche Vermittlung (die darauf vertrauen müsste, dass Film und Gesellschaft sich gegenseitig etwas zu sagen haben) seiner erschreckenden Inhalte versucht The Exterminator nicht zu leisten (selbstverständlich ist genau das das Interessante am Film, das, was ihn gewissermaßen, in engen Grenzen, rettet, was ihn von einem faschistischen Traktat in ein antihumanistisches Experiment im Mainstream transformiert); nicht durch Innerlichkeit (Hauptdarsteller Robert Ginty verschwindet erst hinter seinen Pausbacken, dann hinter einem schwarz verspiegelten Motorradhelm), auch nicht durch konventionelle Spielfilm-Kausalität: Abgesehen von einem lieblos heruntergekurbelten Subplot um die Verletzung eines Vietnam-Kameraden und die Versuche des Exterminatoren, dessen Hinterbliebene zu trösten, gibt es keine narrative Klammer, die die Racheaktionen der Hauptfigur - gegen Kleinkriminelle, Pädophile, Gangster, gegen wen auch immer - kontextualisieren könnte.

Wednesday, June 15, 2011

Caddyshack, Harold Ramis, 1980 (American Eighties 1)

Anlässlich eines kuratorischen Projekts habe ich letzte Woche mit einer Sichtungsserie begonnen, die mich vermutlich mehrere Monate in Anspruch nehmen wird: einem chronologischen Durchgang durch das amerikanische Kino der Achtziger. Die Auswahl der Filme ist grundsätzlich inklusorisch und in keiner Weise streng, sie hat ihre Schwerpunkte im Genrekino Hollywoods, insbesondere im Thriller und in der Komödie. Ich werde versuchen, regelmäßig einige nicht unbedingt allzu stark geordnete Sichtungseindrücke (im Gegensatz zu: Filmanalysen) hier im Blog unterzubringen.

Ramis' erster Film Caddyshack ist eine tolle Komödie über einen Golfplatz als WASP-Hochburg, die von allen Seiten belagert wird: von den spätpubertären working-class-Caddies auf der eigenen Anlage, von neureichen, vulgären Immobilienspekulanten, sogar von den eigenen zukünftigen Erben: die Tochter des Ober-WASP ist eine blonde Privatschülerin, die sich in New York sexuell emanzipiert hat und sich im Golfclub des Vaters mit den Caddies vergnügt; Der Film zeigt das nicht nur, er stellt sich auch ganz selbstverständlich auf die Seite der sexuellen Befreiung. Da haben sich die Zeiten wirklich geändert seit den frühen Achtzigern (man denke nur an den fürchterlich verklemmten Easy A).

Ein früher Film aus dem Saturday Night Live-Umfeld, die Form der Sketch-Comedy, auch der Stand-up-Komik (insbesondere ein großartiger Rodney Dangerfield) scheint noch stark durch, ist nicht vollständig in die Form der Hollywoodkomödie übersetzt, aber das tut dem Film gut. Viele Filmparodien, ein wenig gross-out-Humor, nebenbei auch noch Bill Murray auf Maulwurfsjagd (eine von vielen Nebenhandlungen, diese kommuniziert fast gar nicht mehr mit dem restlichen Film), kaum ein narrativer roter Faden, dafür viel Offenheit gegenüber Gesellschaft und Populärkultur. An die Filme Adam Sandlers (vor allem die, bei denen Dennis Dugan Regie führt) musste ich nicht nur deshalb denken, weil der erste wirklich gute Sandler ebenfalls ein Golffilm ist (Happy Gilmore, 1996). Sandlers Filme sind zwar geradliniger und selbst dann klassische Starvehikel, wenn der Hauptdarsteller einen Ensemblecast neben sich zulässt (Grown Ups, 2010), aber sie zeigen ein vergleichbares Desinteresse an Handlungsökonomie. Vielleicht ist es kein Zufall, dass es sowohl in Caddyshack als auch in Grown Ups und Just Go With It jeweils eine längere Szene gibt, in denen die Filme ihren jeweiligen, ohnehin von Anfang an unterdefinierten Plot ganz beiseite schieben und ihre Figuren ins Freibad schicken. In allen drei Filmen vollzieht sich im Freibad eine Art Freistellung der Figuren, genauer vielleicht der Körper vom Drehbuch, es wird zum Ort einer folgenlosen Reinfantilisierung, einer naiven, karnevalesken Sexualität.

Friday, June 10, 2011

Karigurashi no Arietti / Arrietty, Hiromasa Yonebayashi, 2010

Fast völlig untergegangen ist der Deutschlandstart des vielleicht schönsten Films des bisherigen Kinojahres. Die Regiearbeiten Miyazakis haben spätestens seit den Neunzigern einen Hang zum Expansiven, Ausgreifenden, Barocken. Der neue Ghibli-Film Arrietty, bei dem der Meister zwar für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, aber die Regie dem jungen Debütanten Hiromasa Yonebayashi überlassen hat, findet zur Linearität und scheinbaren Einfachheit von Tonari no Totoro zurück. Wie in Totoro nimmt der Film seinen Anfang bei Kindheit und Einsamkeit, die fantastische Welt, die auf dieser Basis entsteht, gewinnt dann aber ein Eigenleben, das nicht mehr auf den psychologischen Maßstab zum Beispiel einer Projektion gebracht werden kann.
Die Titelfigur Arrietty gehört zu den "Borrowers". Die Borrowers sind "kleine Menschen", die sich in den Häusern der Großen eingerichtet haben und diesen einige Kleinigkeiten für die eigene Existenz entwenden: einzelne Zuckerwürfel, Stecknadeln, Papiertaschentücher, stest nur solche Dinge, deren Verlust nicht bemerkt, die also im Maßstab der Großen nicht einzigartig, sondern ohne Probleme ersetzbar sind. Der Größenunterschied zwischen kleinen und großen Menschen führt nicht nur zu einer Umwertung der Dingwelt, er prägt den gesamten Film. Aber, das ist das Schöne, nie als bloße Cuteness oder als Pointe, sondern als Simulation realen Erlebens. Eine lange, ausführliche Szene am Anfang des Films beschreibt einen Streifzug Arriettys mit ihrem Vater durch das Haus der großen "Wirtsfamilie". Der Film nimmt sein Szenario ganz und gar ernst und lädt konsequent die Details der alltäglichen Welt, die im gewöhnlichen Erleben kaum noch wahrgenommen werden, mit einem "sense of adventure" auf: Nägel, die ein wenig aus der Wand ragen, Stromkabel, Klebestreifen und so weiter. Später spielen auch die "großen Menschen" eine wichtige Rolle im Film, es gibt dann immer wieder ein Spiel mit der Perspektive, am schönsten während der ersten gelungenen Begegnung Arriettys mit dem jungen Sho: vorher konnte er stets nur ihren Schattenwurf sehen, jetzt zeigt sie sich ihm vollständig. Sie tritt an das für sie riesenhafte Kind heran, er dreht seinen Kopf, es folgt ein Schnitt auf seinen Point of View, auf eine Nahaufnahme Arriettys zwischen wogenden Blumenblüten, die teilweise größer sind als ihr gesamter Kopf. Dieser Schnitt gehört zum Schönsten, was ich dieses Jahr im Kino gesehen habe. (Natürlich auch aufgrund der wundervollen Melodie, die Arriettys Blumenporträt unterlegt wird; musikalisch vergreift sich der Film gleich am Anfang erheblich, das englischsprachige Titellied ist unterirdisch, der Rest des Soundtracks dafür umso großartiger).
Wie in vielen anderen Gibli-Filmen ist die Geschichte nicht einmal auf den ersten Blick so einfach und oppositionell strukturiert, wie die Gegenüberstellung von klein und groß glauben machen könnte. Auch Arrietty entwirft eine Welt, die gleichzeitig und oft ununterscheidbar Sozial- und Ökosystem ist, in deren Inneren eher Dialektik als eine transzendente Moral waltet. Das gilt schon für die Struktur der Bilder, für ihre Textur selbst. Von weitem, in der Totalen, ist die Wiese ein impressionistischer Aquarelltraum, aber wenn sich Arrietty und ihre Familie durch sie hindurchschlagen müssen, ist die Lieblichkeit verschwunden, lauern an allen Ecken und Enden Gefahren.
Ein Detail macht die eben gerade nicht eindimensionale Beziehung zwischen den beiden Sphären des Films besonders deutlich: Die "großen Menschen" haben für die kleinen mit den besten paternalistischen Absichten ein Puppenhaus gebaut, aber das wird nicht als Friedensangebot interpretiert, sondern als Falle. Und vielleicht nicht ganz zu Unrecht, wenn auch aus Gründen, die den Borrowers selbst nicht bewusst sind; schließlich lauert im Puppenhaus die Domestizierung. Die Kommunikation zwischen den beiden Parteien scheitert also an einem doppelten Missverständnis. (Die Borrowers setzen statt dessen auf Abschottung von der bei gleichzeitiger Mimikry an die Lebenswelt der Großen. Diese Selbstdomestizierung wird ihnen erst bewusst, als sie einen anderen, in tatsächlicher Freiheit, aber dafür noch fast vorsprachlich lebenden Borrower kennenlernen. Auch könnte man auf die verschiedenen Familienmodelle hinweisen, auf die intakte, aber tendenziell repressive Borrower-Familie und auf die im Zerfallen begriffene Wirtsfamilie und auf deren Verhältnis zur eigenen Hausangestellten.)
Mittlerfiguren zwischen den beiden Sphären sind die Tiere, innerhalb der Handlung spielt vor allem eine Katze eine Rolle, allerdings haben auch jede Menge Vögel, Hunde, Mäuse und vor allem Insekten Kurzauftritte. Die Tiere stehen außerhalb der Differenz, die den Film strukturiert zumindest insofern, wie diese eine begriffliche ist und gerade deshalb eignen sie sich zu ihrer Überwindung. Der Angriff eines Rabens bringt Sho und Arrietty zum ersten Mal einander näher, Käfer, Schaben und Ameisen bekommen in liebevollen Großaufnahmen eine wundervolle Materialität (für die Borrowers sind Insekten nicht das Abjekte an der Natur, sondern selbstverständlicher Teil der Umwelt). Aber selbst die intelligente, in manchen Hinsichten lernfähige Katze bleibt eine rätselhafte Kreatur, der auch dann kein mit menschlichem analoges Bewusstsein zugeschrieben wird, wenn sie scheinbar altruistisch handelt (die Katze hat Teil an einer anderen Art von Freiheit, ihre Freiheit ist nicht sozial bedingt, sondern ganz und gar unbedingt). In einer meiner Lieblingsszenen läuft eine Kellerschabe über einen Stein, eine andere taucht auf, die beiden reiben sanft ihre Fühler aneinander und verschwinden gemeinsam. Nichts gegen die Dinosaurier in The Tree of Life, die fand ich auch toll; aber Yonebayashis Kellerschaben habe ich doch noch gerner.
(Siehe auch, unter anderem zur Katze, Fabian).

Thursday, June 09, 2011

Die Ratte, Klaus Lemke, 1993

Eine kleine private Lemke-Retrospektive geht zu Ende mit Die Ratte, einem skizzenartigen, sprunghaften Kiezfilm aus Hamburg. Selbst die Besetzung: eine sonderbare Angelegenheit. Der eine Hauptdarsteller, Thomas Kretschmann, machte wenige Jahre später in Hollywood Karriere (derzeit steht er für Agento als Dracula vor der Kamera). Die anderen beiden, Myriam Zschage und vor allem Marco Heinz, sind einerseits viel interessanter, tauchen dann aber andererseits nie wieder auf. Lilo Wanders und (in einer kleinen Rolle) Rocko Schamoni sind auch noch mit dabei.
Irgendwie sollte das vielleicht einmal eine Aktualisierung von Lemkes Klassiker Rocker werden: Ein Halbstarker hängt sich mit aller Macht an einen anderen, gealterten Halbstarken, wird gedemütigt, lässt sich nicht abschütteln, lernt, sich zu wehren, lernt auch, zu driften, anstatt zu klammern. Er will sich eine andere Sprache aneignen und lernt während er das verucht, seine eigene zu sprechen. Wenn der neuere Film sich dann aber, obwohl er diese Bewegung nachvollzieht, ganz anders anfühlt als der berühmtere Vorgänger, vor allem weit weniger rund, auch weniger energetisch (der Film pulsiert, aber es ist nicht immer ein besonders gesunder Puls), dann liegt das auch daran, dass Kretschmanns Schauspiel Technik ist und als solche gelegentlich sogar ziemlich aufdringlich (obwohl sein erster Auftritt im Film, eine Sexszene, tatsächlich so super ist, wie Lemke selbst und auch Stefan Ertl behaupten), während Heinz mal unsicher und vorsichtig, mal überaffirmativ und aggressiv in Posen schlüpft, hinter denen er als ein anderer sichtbar bleibt. Die schönsten Momente des Films sind vielleicht einige kleine, simple Kamerabewegungen auf diesen Jungen (Lothar E. Stickelbrucks, der in den Siebzigern Sylvie und Paul fotografierte, übernimmt ein letztes Mal die Kamera in einem Lemke-Film), die Momente des Selbstverlusts offenbaren: ein entrücktes Lächeln im Stripclub, die vor die Augen gehaltenen Hände während Kretschmanns Sex mit einer Prostituierten, die vor den Mund gehaltenen Hände, wenn Lilo Wanders ihn küssen möchte. Einer der tollsten Lemke-Schauspieler hätte Marco Heinz werden können, vielleicht ist er zur falschen Zeit in der Filmografie aufgetaucht.
In den Neunzigern hat Lemke nur drei Filme gedreht (im den Nuller Jahren dafür gleich zehn), Zockerexpress von 1991 habe ich noch nicht gesehen, der direkte Nachfolger Das Flittchen und der Totengräber von 1995 ist in mancher Hinsicht ziemlich misslungen. Die Ratte ist ein deutlich interessanterer und schönerer Film, für sich selbst ein rauhes, widerborstiges Kleinod inmitten des deutschen Neunzigerjahrekinos, das für mich in der Erinnerung schon eine ziemliche Höllenerfahrung war (gut, viel mitbekommen habe ich damals nicht, viel nachholen möchte ich schlicht und einfach nicht, aber alleine diese Komödien, dieser Dietl, diese Werner-Filme). Aber dennoch scheint da manches nicht mehr zu funktionieren, was in den Siebzigern noch möglich war: zum Beispiel einen Zusammenhang herzustellen zwischen großen, emphatischen Kinobildern und dem Lemkeschen cinema verite, den kaum bearbeitet wirkenden, teilimprovisierten Aufnahmen von der Straße (mehrmals im Film: sonderbare Schärfeverlagerungen, die einen oder mehrere Unbeteiligte - genauer: eindeutig mit etwas anderem, mit ihrem eigenen Leben Beschäftigte - aus dem Hintergrund aufgreifen und isolieren). Es gibt zum Beispiel Helikopteraufnahmen von Hamburg, die überhaupt nicht, oder höchstens am Anfang, als Hinführung zur fetischisierten Sexszene, mit dem restlichen Film kommunizieren. So fragmentiert ist hier alles, die Handlung, die Straßen, die Räumlichkeiten (Marco Heinz klettert an der Außenseite eines Hauses hoch, steigt durch ein Fenster, landet auf einem Lieferband (?) und greift zu einem Telefonhörer der einfach so rumliegt, das ist keine Ausnahme, so funktioniert der Film), die Stadt Hamburg, die buchstäblich morsch und brüchig wird, vielleicht demnächst in der Nordsee versinkt. Heinz, Kretschmann, Zschage sind jetzt schon Treibholz.

Ein monotoner, hypnotischer Elektrobeat ist dem Film nicht so sehr unterlegt, eher durchsetzt er ihn, infiziert ihn, manchmal bricht er weg und taucht nur wenige Schnitte später wieder auf, lässt sich nicht abschütteln, heftet sich an Figuren und Straßenzüge, lässt sie wieder frei, aber ganz verschwinden kann er irgendwann nicht mehr, er verändert auch die Szenen, in denen er nicht zu hören ist. Auch der Beat stiftet keine Kontinuität, eher verschiebt er den Film, die Räume, die Figuren, er drückt sie raus aus ihren eingefahrenen Bahnen, hinein in einen Lemke-Modus des Seins; ein junger Typ mit einem Ghettoblaster, der NWA spielt (glaube ich zumindest), taucht manchmal auf, läuft durchs Bild, macht irgendwas, scheint mit Kretschmann zu tun zu haben, aber seine Geschichte bleibt ebenso zufällig und momenthaft an der Außenseite des Films haften wie die Raps an der Außenseite des Elektrobeats.
Kurz vor Schluss zeigt der Film den hemdsärmeligsten Autodiebstahl der Filmgeschichte. Eine andere großartige Szene: Eine Razzia im Bordell, Marco Heinz schleicht zwischen Prostituierten und Polizisten hindurch, die Augen wieder mit der Hand bedeckt, er landet in einer Villa, dort soll er einen Dealer ausfindig machen, er irrt durch das Gebäude, trifft zum ersten Mal auf Myriam Zschage. Sie schauen sich an, die Kamera schneidet hin und her, das Gespräch dreht sich um eine Räuberpistole, in die Zschages Zuhälter und Kretschmann verwickelt sind, aber das Gespräch ist Nebensache, alles funktioniert über Blicke. Heinz bläst sich die Haare aus dem Gesicht, Zschage macht es ihm nach, bei beiden wirkt die Geste auf sehr unterschiedliche Art theatral, nachgemacht, abgeleitet (deswegen noch lange nicht: falsch; "unverfälschte Authentizität" gibt es nicht bei Lemke, eher gibt es einen Rausch der Maskierung, eine nichtreflektierte Lust an der Überschreitung, durchaus auch am Rollenspiel; solange man nur bereit ist, sich mit Haut und Haaren auf die Rolle - die dennoch Rolle bleibt, die eine Differenz markiert zu einem Alltag, der immer knapp außerhalb des Films bleibt - einzulassen, solange man keine safe zone besitzt, kein Sicherheitsnetz aufgespannt hat).


Wenn die beiden mit zwei Begleitern die Villa verlassen, folgt eine wahnwitzig-extatische Einstellungen, die auch die oben erwähnte Differenz zwischen Kino-Fetischbildern und den rauhen Straßenimpressionen kollabieren lässt. Ein Film, der brennt.

Meine Lemke-Retro hat kein natürliches Ende gefunden. Ich habe einfach nur alle mir zugänglichen Quellen ausgeschöpft. Sachdienliche Hinweise insbesondere hinsichtlich der Filme aus den Achtzigern und späten Siebzigern (da kenne ich nur Amore und Arabische Nächte) nehme ich gerne entgegen.

Wednesday, June 08, 2011

A Female Boss, Han Hyeong-mo, 1959

Eine elegante koreanische romantische Komödie aus den späten Fünfzigern; der Bürgerkrieg ist vorbei, bald wird die Wirtschaft boomen, schon jetzt ist einiges durcheinander geraten. In den letzten paar Minuten des Films wird die Hackordnung der Geschlechter wieder zurecht gerückt, in den gut eineinhalb Stunden davor aber gibt es ausgiebig zu bestaunen: selbstbewusste Frauen in Chefsesseln, duckmäuserische Männer, die in Vorstellungsgesprächen zu Objekten eines erotisierenden Blicks werden, die sich für die eigenen Essgewohnheiten entschuldigen müssen und fast bis zum Fußboden verbeugen, die sich mit misslungenen Golfschlägen lächerlich machen. Weite Teile des Films spielen in den Büroräumen der Zeitschrift "Modern Women". Über dem Schreibtisch der Chefin hängt ein Plakat: "Frauen sind den Männern überlegen". Am Ende wird es ausgetauscht: "Männer sind den Frauen überlegen". Wenn Ideologie immer so geradlinig operieren würde, würde so manches Problem gar nicht erst entstehen. Andererseits: Wenn am Ende wieder der Mann im Büro sitzt, dann liegt zuhause neben dem Sofa der Frau immer noch kein Menschen-, sondern weiterhin lediglich das Hundebaby, das den ganzen Film über als ein sonderbares, zwiespältiges Zeichen der prinzipiellen, aber nicht mehr konventionellen, von Anfang an vorauszusetzenden Zähmbarkeit und Mütterlichkeit der Hauptfigur fungiert. Gleich am Anfang versetzt ihr love interest dem Tier einen kräftigen, durch keinerlei special effects entschärften Tritt.


Vorerst ist die Frau Chefredakteurin und genießt ihre Macht über die Männer, die mehrere Meter leeren Raums durchschreiten müssen, um zu ihr zu gelangen.

Einmal legt sie sogar eine Bananenschale aus:

Im Vorzimmer setzt sich der Geschlechterkrieg fort, auch dort haben die Frauen lange die Überhand. Han Hyeong-mo (der in diesem Blog schon zweimal aufgetaucht ist) dreht dynamische eher denn organisch-runde Filme; A Female Boss desintegriert in der zweiten Hälfte ein wenig, einmal unternimmt die Belegschaft einen Ausflug zu einem Basketballspiel, das der Film ganze zehn Minuten lang beobachtet. Historisch ist das vielleicht lesbar als ein neugieriger Blick auf die Attraktionen der westlichen Moderne, die in die Gesellschaft eindringt, ähnliches gilt sicherlich für die Nachtclubszenen, die mir bereits in Madame Freedom begegnet waren und die hier mindestens genauso großartig sind.