Monday, March 21, 2011

Lin Jia Pu Zi / The Lin Family Shop, Shui Hua, 1959

In den letzten Wochen habe ich eine ganze Reihe chinesischer Filme der Dreißiger bis Sechziger Jahre angesehen, zwecks Vorbereitung einer Filmreihe, die im Frühjahr nächsten Jahres im Kino Arsenal stattfinden wird (mehr hier). Der vielleicht außergewöhnlichste Film, auf den ich bisher gestoßen bin, ist The Lin Family Shop von Shui Hua. Der Film stamm aus dem Jahr 1959 und damit aus einer Phase der chinesischen Filmgeschichte (die die zehn Jahre zwischen der Hundert-Blumen-Bewegung und dem Beginn der Kulturrevolution umfasst), in der das Kino sich ein wenig von der Staatspropaganda emanzipieren konnte.
Wie viele Filme dieser Zeit siedelt auch The Lin Family Shop seine Handlung in den Dreißiger Jahren an, vor Welt- und Bürgerkrieg; damit auch in der Zeit, in der das chinesische Kino sein erstes goldenes Zeitalter erlebte, hauptsächlich Dank des "leftist movements", der sozialkritischen Melodramen von Fei Mu, Sun Yu und ihrer Kollegen. Die VRC bleibt in diesen Filmen natürlich als Horizont und Rahmung gegenwärtig, in einigen - allerdings nicht in The Lin Family Shop - marschieren dann am Ende auch jubelnde Proletarier durch die Straßen und befreien die Hauptfiguren von ihrem Unglück; die interessantesten Filme der Zeit sind allerdings gerade nicht Heldenmythologien und geradlinige Erlösungsfantasien. Die Filme der dritten Generation etablieren damit eben gerade kein genuin maoistisches Kino, dem ein grundlegend neues, inniges Verhältnis von proletarischer Staatsmacht und Ästhetik zugrunde liegt. Eher kann man sie als reflektierte Fortschreibungen der chinesischen Filmgeschichte und ihrer Beschäftigung mit Macht, Tradition, Gender über den historischen Bruch hinweg beschreiben.
Die Filme der späten Fünfziger und frühen Sechziger sind nicht radikaler, sondern ganz im Gegenteil geordneter, ordentlicher. In The Lin Family Shop sind die melodramatischen Spitzen eines Sun Yu gebrochen, gleichzeitig hat sich die Idee von Urbanität gewandelt. Die Logik des Studios durchaus im Sinne Hollywoods als einer Zähmung des Gewusels, das den Zusammenbruch ständischer Ordnung begleitet im grafisch geordneten, in der Farbskala abgehefteten Bild hat auch in China ihre Entsprechung gefunden. Die rauhen, quasidokumentarischen Bilder zB aus The Goddess verschwinden parallel mit den falschen Bärten der Räuberpistole (Loving Blood of the Volcano heißt ein schöner Film Sun Yus aus den Dreißigern, derartige Titel kommen später nicht mehr vor). Viel los ist auch in The Lin Faily Shop (ein Film über Gemeinschaft, nicht über Vereinzelung), aber doch weiß jeder Komparse in jedem Moment, was er zu tun und was er zu lassen hat.
The Lin Family Shop ist dann allerdings ein Film über den Kapitalismus von einer Klarsicht, wie man sie in den älteren Filmen doch eher nicht findet. Fast der gesamte Film spielt direkt im titelgebenden Family Shop, weiter als zu den neidisch herüber schielenden Nachbarn entfernt sich der Film selten. Kaum einen Film kenne ich, in dem soviel gehandelt wird, in dem derart konsequent die Waren und ihr Wert im Zentrum stehen. Historische Ereignisse werden konsequent auf ihre ökonomischen Folgen abgeklopft. Aus dem Einmarsch der Japaner in der Mandschurei zum Beispiel entsteht für die Familie Lin vor allem anderen ein Geschäftsmodell - sie versorgt die Flüchtlinge mit "Waren für den täglichen Bedarf", die sie, im Gegensatz zur Konkurrenz nebenan, reichlich auf Lager hat. Und der anschwellende Nationalismus schlägt sich in Boykottaufrufen gegen angebliche oder tatsächliche ausländische Produkte nieder.
Zwar ist der Film zweifellos eine Chronik des Niedergangs eines Unternehmens sowie einer Familie und gleichzeitig des Scheiterns eines Gesellschaftssystems. Doch woran Unternehmen / Familie / Gesellschaft scheitern, das erläutert der Film weit weniger eindeutig. Wenn der Kapitalismus schuld trägt, dann als System, nicht etwa deswegen, weil einige Bösewichte dem Lin-Clan ans Leder wollen. Hinter den Bossen stehen weitere Bosse, das erkennt das Lin-Familienoberhaupt schnell, individuelle Schuldzuschreibungen werden, einigen melodramatischen Schlenkern gegen Ende des Films zum Trotz, stets und gründlich ausgebremst. Doch wie weit die systemischen Probleme, die der Film offen legt, tatsächlich und ausschließlich die Probleme des Kapitalismus sind, das ist eine ganz andere Frage, zu der sich Shui Hua nicht wirklich verhält. Ganz im Gegenteil setzt er in den Verkaufsszenen die Lust am reinen, "marktradikalen" money making vor seiner Korruption durch Monopolisierung und Polizei mit erstaunlicher Sympathie ins Bild. Dass eine solche Unterscheidung einer marxistischen Kritik nicht standhält: klar. Umso interessanter, dass der Film sie dennoch trifft.

2 comments:

Guido Kirsten said...

Schöner Text, der wirklich neugierig auf den Film macht! (Habe ihn mir gleich besorgt.) Und auf die Reihe im Arsenal bin ich auch schon sehr gespannt und hoffe dann in Berlin sein zu können. Hast du/habt ihr MALU TIANSHI (STREET ANGEL, Muzhi Yuan, CN 1937) schon gesehen? Den fand ich extrem toll.

Lukas Foerster said...

Street Angel habe ich vor ein paar Wochen gesehen, von dem war ich auch sehr beeindruckt (unglaublich freie, entfesselte Bildsprache vor allem), neben The Lin Family Shop und vielleicht noch vor Two Stage Sisters und den Filmen von Sun Yu war das bisher meine größte Entdeckung. Den wollen wir auf jeden Fall ins Programm nehmen, wenn wir eine Kopie bekommen.