Monday, October 25, 2010

Viennale 2010: Road to Nowhere, Monte Hellman, 2010

Nach 20 Jahren Abwesenheit ein Comeback ohne jedes Pathos, ohne blick zurück, sehr gegenwärtig, aber nicht unbedingt "zeitgemäß". Allerdings eher deshalb nicht, weil darin "gemäß" steckt und also eine regelhafte Zuordnung, auf die Hellman keinen Bock hat. In der Titelsequenz zu Beginn taucht nicht einmal sein Name auf, da heißt der Regisseur Mitchell Haven. Immer sonderbar und immer faszinierend ist Road to Nowhere, beim ersten Sehen kaum vollständig entschlüsselbar, weder in seiner Handlung, noch als poetisches System. Anschließend dann auch nur einige erste Notizen.
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Die Titel und der Prolog gehören einem Film im Film, der freilich den gleichen Titel trägt wie das, was um ihn herum gebaut ist. Zuerst Casting, dann Dreharbeiten. Es gibt auch noch andere Filme im Film: Der Regisseur schaut sich zwischendrin mit der Hauptdarstellerin und Geliebten Klassiker von Bergman bis Sturges an und erklärt jeden einzelnen zum "fucking masterpiece". Auch diese Filme stehen nicht außerhalb des Spiegelsystems, das Road to Nowhere ist. Zuerst setzt Hellman stilistische Differenzen zwischen den beiden ontologischen Ebenen, nach und nach reist er sie dann wieder ein. Es interessiert Hellman am Film-im-Film-Konzept einmal der Moment der Ununterscheidbarkeit, von dem aus eine Einstellung in die eine oder in die andere Richtung kippen kann. Dann auch die Idee, dass alle Bilder und nicht nur die Bilder, auch Häuser und Menschen, zwei Seiten haben. Eine wichtige Mordszene, die den Ursprung des Films gleichzeitig bezeichnet und im Dunkeln lässt, spielt mit den zwei Seiten eines Hauses, eine andere, die den Fluchtpunkt des Films gleichzeitig bezeichnet und im Dunkeln lässt, spielt mit den zwei Seiten eines Fensters und dann auch des Filmbilds selbst.
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An Two Lane Blacktop und vielleicht noch mehr an Cockfighter schließt der Film an, weil er einerseits die Chronik einer Obsession ist, der die Hauptfigur nach und nach alles opfert, aber auch, weil er andererseits den Inhalt dieser Obsession nach und nach verschwinden lässt. Es gibt immer einen dunklen Mann, ein Geheimnis im Hintergrund, dessen Einzelheiten weniger wichtig sind als die Effekte, die sie zeitigen, und die vor allem Aushöhlungen sind. Von Obsessionen, auch von Figuren.
Toll ist zum Beispiel Bruno (Walon Payne, der vorher in Walk the Line Jerry Lee Lewis gespielt hat, sonst aber noch nicht allzu viel) ein "Berater" am Set, von dem man von Anfang an nicht so genau weiß, was er da eigentlich zu suchen hat - als Film über die postfordistischen Kino-Produktionspraktiken ist Road to Nowhere vielleicht gerade in solchen Unsicherheiten instruktiv. Bruno ist eine Art Cowboyattrappe, er stolziert ausgemergelt und mit alberner Frisur in der Gegend herum, gabelt irgendwann eine blonde Bloggerin auf (die nochmal andere Filme im Film produziert) und mischt sich in Dinge ein, von denen er ncihts versteht und die ihn nichts angehen. Aber man merkt schnell: Egal worin sich Bruno einmischen würde, er würde von nichts etwas verstehen und nicht würde ihn etwas angehen. Ein Körper, der in sein eigenes Klischee geflüchtet ist und sich da unwohl fühlt. Einmal steht er in dem - vergleichsweise und etwas melancholisch in sich selbst ruhenden - Regisseur und möchte den Ermittler geben, allein, es klappt nicht, schon an den Gesten, an der Mimik scheitert er.
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Grandios ist die letzte Einstellung. An der Wand hängt die Fotografie der toten Hauptdarstellerin. Ein weichgezeichnetes Hochglanzbild, ein Starschnitt. Der Mund allerdings ist nicht weichgezeichnet, sondern extrem scharf, die geöffneten Lippen sind ein wenig aufgesprungen, stellen ihre Textur aus. Hellman zoomt erst auf das Foto, dann direkt auf die Lipen, während die Credits - diesmal die echten - über die Leinwand laufen. Der Mund als Spalt, gleichzeitig psychosexuell, als Verschiebung auf einen anderen Spalt verweisend und aber auch ontologisch: der Mund als Bruchstelle, durch die etwas eindringt, ein stoffliches Reales, das in den billigen Videobildern des übrigen Films (der mit einer Art Fotokamera gedreht wurde, die auch mehrmals direkt im Bild auftaucht und einmal mit einer Waffe verwechselt wird, das ist alles sehr schön, aber die 35mm-Bilder habe ich doch mehr vermisst als in vielen anderen digital produzierten Filmen der Gegenwart) wie ein Fremdkörper wirkt.

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