Wednesday, October 07, 2009

Bioscope, K.M. Madhusudhanan, 2008

Nach einmaligem Ansehen traue ich der eigenen Begeisterung für diesen Film noch nicht vorbehaltlos über den Weg. Zumindest aber ist Bioscope ein Film, der mich wie aus dem Nichts hart, schwer und tief getroffen hat. Das indische Kino ist für mich ein schwieriges Objekt. Ohne erklären zu können, weshalb, bin ich mir ziemlich sicher, dass die schönsten Filme der Welt indische Filme sind, aber bis heute habe ich wenig unternommen, diesen Schatz für mich zu bergen. Vielleicht, weil ich nicht weiß, wo ich anfangen soll: Im Grunde laufen mehrere Nationalkinematografien parallel, außerdem gibt es eine auf den ersten Blick recht strikte Trennung zwischen kommerziellem und unabhängigen Kino - die auf den zweiten Blick vermutlich nicht so einfach aufrecht zu erhalten wäre. Andererseits verhält es sich in China auch nicht anders und da hält mich das auch nicht ab. Wie dem auch sei, ich kenne bislang nur ein gutes halbes Dutzend waschechte Bollywoodfilme und auch nicht viel mehr indisches Autorenkino.
Bioscope ist ein tamilischer Film, der Regisseur ist von Haus Maler, das sieht man dem Film an. Sein Film ist einer über das Kino. Und ein Film über die bleierne Zeit der britischen Kolonisierung Indiens. Beides kommt zusammen, wenn die Kolonisierten auf die handgekurbelten Filme aus dem Bioscope starren. Wenn der Lumieresche Zug in den Bahnhof fährt, ergreift niemand die Flucht. Die Augen bleiben starr auf das flackernde Schwarz-Weiß der hier tatsächlich völlig stummen Leinwand gerichtet. Auch, wenn Wienes Caligari oder Filme des indischen Stummfilmpioniers Dadasaheb Phalke projiziert werden. Nur Diwakaran wendet den Blick und schaut von den Bildern auf den Apparat, der sie produziert, sowie auf Dupont, den Europäer, der die sich noch nicht sehr flüssig bewegenden Bilder nach Indien gebracht hat. Diese eine Kopfbewegung ist schärfere und treffendere Ideologiekritik als jede Apparatustheorie. Diwakaran tritt später an die Stelle Duponts und kurbelt selbst.
Mehr passiert eigentlich nicht: zuerst kurbelt Dupont, danach Diwakaran. Dazwischen Gespräche über die neue Technik, die den Dorfbewohnern eher schwarze denn weiße Magie ist. Und ein eher angerissenes als durcherzähltes Melodram um Diwakaran und seine kranke Frau Nalini, die einst, wie mehrere intensive Rückblenden offenbaren, einen Weißen, einen Kolonisator am Strand entdeckt und sich von diesem Erlebnis nie wieder erholt zu haben scheint. Infiziert vom Fremden siecht sie dahin.
Vor allem aber vollzieht Bioscope: Stillstellungen. Gesichter in Großaufnahme am Strand, vor Lehmstraßen, alles feucht, trüb, matt, platt, träge, bleiern außer wenn es um Dorftratsch geht. Traurige Lieder, deren Texte eigentlich keine Untertitel benötigten. Die Stillstellungen sind umso deprimierender, als sich zwischen ihnen dann doch das eine oder andere entwickelt, nur eben nichts Produktives. Stillstellungen, die in den Flow eines fremdbestimmten Alltags eingelassen sind. Stillstellungen als Reaktion auf die Fremdbestimmung. Bioscope ist einer der eindrücklichsten Filme über Kolonialismus, den ich bisher gesehen habe, eben, weil es kein außen der Ohnmacht der Kolonisierten gibt, keine Handlungsmacht, die stellvertretend für die Ohnmacht agiert.
Ich bekomme die großartigen Bilder noch nicht hinreichend auf Begriffe, ich bekomme sie nicht soweit, wie ich sie gerne hätte (allzu weit möchte ich sie auch wieder nicht bringen, sie sollen schließlich bleiben...). Aber darum geht es ihnen sicher: Kino und Kolonialismus. Das Kino treibt nur eines dieser Gesichter, das Diwakarans, aus der Trübe. Wo das Gesicht landet, bleibt unklar, Diwakaran begehrt nicht auf, durchläuft keinen Erkenntnisprozess. Vielleicht ist die Frage falsch: Diwakaran landet nirgends, er handelt nicht, er muss sich nur nicht mehr für die Unmöglichkeit des Handelns rechtfertigen, denn: Er kann projizieren. Während Nalini sich in ihren Rückblenden verzehrt, Bilder in sich einschließt, in denen jede Welle in Zeitlupe hoffnungslos überdeterminiert über den Sand kriecht, kann Diwakaran sich im Akt des Projizierens völlig entäußern. An Heide Schlüpmanns Buch Ungeheure Einbildungskraft (bei dem ich mir freilich nach wie vor in jeder Hinsicht unsicher bin) denke ich jetzt, hinterher, wenn ich an diese Projektionen denke:
Keine Definition, sondern reine Projektion der "Leibeigenschaft", stellt sie keinen Angriff auf die Gesellschaft dar, sondern eine List des träumenden Lebens, seinem Dasein eine äußere Wirklichkeit zu geben oder im Bergsonschen Sinne: eine Möglichkeit, die nicht auf Verwirklichung zielt.

3 comments:

Sano said...

Sehr schöner Post der richtig Lust auf den Film macht. Da scheint ja auch einiges an Filmtheorie in der Narration des Films eingebaut.
Wo (oder wie) hast du ihn denn sehen können?

Mir gehts leider ähnlich wie dir mit dem indischen Kino. Hab auch schon seit Jahren das Gefühl (und den Wunsch) mich da tiefer reinversenken zu müssen - vor allem wegen der Melodramatik und Schönheit, und der Natur(symbolik) - aber bin in ca. 6/7 Jahren auch nicht über 20 gesehene indische Filme hinausgekommen. Die Verfügbarkeit ist sicherlich ein großes Problem, aber nicht das Einzige.

Wenn mal jemand ein Box-Set mit Filmen von Guru Dutt rausbringt, bin ich auf jeden Fall einer der ersten potentiellen Käufer. :-)

Lukas Foerster said...

Gesehen habe ich eine Screener-DVD, die zwar als solche ganz ok war, aber trotzdem natürlich weit vom Rezeptionsideal entfernt. Auch deshalb bin ich noch sehr vorsichtig, was diesen Film angeht.

Zu Indien: Jetzt habe ich mir dieses Erweckungserlebnis zu Herzen genommen und beschlossen, bis Ende des Jahres systematisch indische Filmgeschichte aufzuarbeiten, zuerst Autorenkino, danach Bollywood. Begonnen habe ich mit Mrinal Sen. Die Kopien, die ich da auftreiben konnte, sind zwar noch viel schlimmer als bei Bioscope, aber das sind Filme von einer Art, wie sie ausgewaschene Farben und Laufstreifen im Bild nicht zerstören können. Sen ist ein ganz Großer, sicher nicht transzendental-genialisch wie Ghatak oder wahrscheinlich auch Ray (von dem kenne ich erst einen einzigen Film), eher ganz und gar diesseitig, an der Gegenwart verzweifelnd, ein entfernter Verwandter von Rocha und Lino Brocka vielleicht.

Sano said...

Ja, schade dass indische Filme außerhalb teilen Bollywoods gegenwärtiger FIlmproduktion bei uns (und eigentlich in Europa im allgemeinen) nicht wirklich vertrieben werden. Weder im Kino, noch in digitaler Form.
Ich hab zu Hause auch noch ein paar indische Filme rumliegen, und hab auch immer mal wieder reingeschaut, letztens sogar zum zweiten Mal eine sehr schöne und ausführliche Dokumentation über Guru Dutt, die wohl als Bonus zu einem seiner Filme beigelegt ist, aber richtig in Schwung komme ich mit der Filmsichtung nicht.

Das mit den schlechten Kopien sehe ich ähnlich. Das flackernde, überbelichtete Bild erzeugt bei mir einen intimen Raum von Emotionalität, der das Seherlebnis eher noch verstärkt.

Freue mich schon auf deine kommenden Indien-Sessions! :-)
Und ich lasse mich auch immer wieder gerne vom wiederholten lesen der schönen Artikel Rüdiger Tomczaks zum indischen Kino inspirieren. Vielleicht folge ich dir ja nach. ;-)