Monday, September 14, 2009

Räume, Orte

Im amerikanischen Kino sind die Räume in mancher Hinsicht unspezifisch, das stimmt schon. Sie abstrahieren von der Geografie, sowohl im großen Ganzen, wie auch im innerstädtischen Detail. Andererseits sind die Orte, die das amerikanische Kino entwift, in sozialer Hinsicht höchst spezifisch: Das Diner, die High School mit ihrer intern aufgesplitteten Raumlogik, die Suburb usw. All diese Orte sind soziologisch, nicht geografisch definiert. Soziologisch aber sehr exakt. Selbst auf der Landkarte einwandfrei nachweisbares wie "Las Vegas" gerinnt eher zum soziologischen als zum geografischen Klischee. Sowohl soziologisch als auch geografisch definierte Räume werden nur in absoluten Ausnahmefällen, mit ungeheurer Kraftsanstrengung entworfen: The Wire, Route One USA.
Vielleicht lässt sich, allen Widerständen gegen solche Verallgemeinerungen zum Trotz, eine Reihung der Nationalkinematografien aufstellen. Einbezogen habe ich nur Länder, aus denen ich ausreichend (soll heißen: mehrere hundert) Filme gesehen habe.

(klassisches) japanisches Kino: die japanische Architektur als der unspezifische Ort par excellence. Keine Fixpunkte. Schiebetüren und Wandschirme dienen sich jedem Raum, jedem Milieu an. Jeder Raum ist provisorisch, bleibt Bühne.

europäische Kinematografien (Frankreich, Deutschland, eventuell Italien, GB): Raum ist geografisch spezifisch (Paris / Provinz, Tatort, Dialekt), soziologisch unspezifisch, Fetischisierung des Lokalen als autarker Mikrokosmos, aber auch: Fetischisierung des profilmischen Raums in cinema verite und Gefolge.

amerikanisches Kino: geografisch unspezifisch, soziologisch spezifisch.

(Mögliche weitere Positionen: Third Cinema, Hongkong, beide überwinden den Gegensatz eventuell auf unterschiedliche Weise)

1 comment:

Klaus said...

Interessanter Denkansatz! Fürs japanische Kino würde ich aber die von dir postulierte "Unspezifiziertheit" aber unter dem Hinweis einschränken, dass die japanische Kultur generell sehr kontextbezogen ist. Dabei spielt auch der räumliche Kontext eine wichtige Rolle und wird in den Filmen oft genutzt, um Charaktere und Situationen einzuordnen und zu definieren. Sitzen die Charaktere auf Tatami oder nicht? Ist ein Raum westlich oder klassisch japanisch eingerichtet? Findet eine Konversation im Büro oder in der Bar statt? Naruse beispielsweise setzt in seinen Filmen ganz stark auf den Gegensatz zwischen den engen Straßen und dunklen Häusern auf der einen und offenen Räumen im Freien wie Parks oder Brücken auf der anderen Seite. Außerdem werden auch geographisch spezifische Orte im Nachkriegskino immer wichtiger und es etablieren sich räumliche Symbole wie etwa der Tokyo Tower, der heute ständig als geographischer Ankerpunkt in Filmen auftaucht, oder das Tokyoter Rathaus.