Wednesday, April 30, 2008

Hanaoka Seishu no tsuma / The Wife of Seishu Hanaoka, Yasuzo Masumura, 1967

Eine junge Frau heiratet in die lokale Ärztefamilie ein. Der Sohn des Hauses, ihr Ehemann ist ein Genie, das stellt der Vater von Anfang an klar. Allerdings ist dieser Sohn erst einmal nicht zu hause. Die ersten drei Ehejahre verbringen Mann und Frau getrennt, das Genie studiert. Dafür sehen wir, wie der Vater, ebenfalls ein Arzt, operiert. Den grotesk wuchernden Geschwüren seiner Patienten nähert er sich mit dem bloßen Messer. Das Geschrei ist groß.

Die beiden Schwestern des Arztes bleiben unverheiratet und unterstützen die Familie. Die eingeheiratete Kae fügt sich gut ein und wird von der Schwiegermutter ob ihrer Handarbeiten gelobt. Doch sobald der Sohn - ihr Mann - zurück ist, vollgepackt mit Koffern und strohbekleidet, verändern sich die Machtstrukturen. Dem Heimkehrer das Wasser zum Füßewaschen reichen dürfen die Schwestern, nicht die Frau. Die muss sogar in den ersten Nächten alleine schlafen, der Sohn bleibt bei der Mutter. In den wunderschön komponierten Familienpanoramen bleibt Kae im Hintergrund, die Schwiegermutter blickt sie mitunter wenig freundlich an, sonst kümmert sich nur die Regie um sie. Die sorgt dafür, dass das Gesicht der Frau immer mindestens doppelt so sehr leuchtet und strahlt wie die Gesichter aller anderen Personen.

Umpei Hanaoka Seishu war der weltweit erste Arzt, der erfolgreich Operationen unter Verwendung von Anästhetika durchführte. Masumuras Film zeichnet nach einem Roman Ariyoshi Sawakos die Leiden auf, dei für diesen Durchbruch nötig waren. Der Schlüssel zum Anästhetikum ist schnell gefunden und wächst im Garten. Doch zunächst ändert sich wenig: Umpeis Schwester stirbt an einem Tumor, der ihre Brust absurd deformiert. Die special effects in Hanaoka Seishu no tsuma besitzen eine Tendenz zur comichaften *bertreibung und sind doch stets rührend ernst gemeint.

Zunächst steigt die Katzensterblichkeit. Umpeis Versuchstiere vertragen das Betäubungsmittel erst gar nicht, danach etwas besser, torkeln aber dennoch aufgrund der Spätfolgen derangiert durch die Gegend. Ist das auch ein special effect oder womit wurden die armen Tiere gefüttert? Als die Tiere dann endlich zu schlafen scheinen, möchte Umpei seinen Erfolg testen und sticht ihnen humorlos mit dem Messer in den Bauch. Zum Glück offscreen. Die Katze jault, das Anästhetikum ist noch nicht perfekt.

Überraschend viel Zeit lässt sich Masumura, dessen Filme sonst meist schnell zur Sache kommen, mit dem Drama. Die Wutausbrüche Kaes ob der Behandlung durch die Schwiegermutter sind schnell verflogen, selbst der Tod der ersten Tochter hinterlässt wenig Spuren in der Dramaturgie. Erst nach einer Stunde wird die Sache ernst: Menschliche Versuchstiere sind gefragt. Frau und Mutter bieten sich gleichzeitig und gleich vehement an. Wer der anderen den Vortritt lässt, droht, das Gesicht zu verlieren. Der Siegerin im Wettstreit droht zwar der Tod, dafür aber gebührt ihr ewiger Ruhm. Die Blickwechsel werden garstiger.

Trotz der emotionalen Klimax der letzten vierzig Minuten ist die zugrundeliegende Logik des Films eine serielle. Immer wieder Katzen, immer wieder Brustkrebs in Form abstruser special effects, immer wieder Selbstversuche mit immer wiederkehrendem Ritual: Kopfbinde, Fußbinde, Abschiedsworte, Begrüßungsworte, immer wieder Schwangerschaften. Alles was passiert, passiert mindestens zweimal, meistens dreimal. Als Umpei schließlich einen Tumor besiegt, sieht das kaum weniger krude aus als die Operationen seines Vaters zu Beginn des Films. Der (medizinisch-wissenschaftliche) Fortschritt ergibt sich nicht aus qualitativen Sprüngen, sondern aus quantitativen Verschiebungen innerhalb längerer Serien. Das Genie des Arztes wird anfangs behauptet, entscheidend für den Erfolg ist jedoch keine geniehafte Subjektivität, sondern ein komplexes soziales Gefüge, das die Veränderung mühselig erwirkt. Der triumphale Wissenschaftsfilm europäisch-amerikanischer Prägung ist in Hanaoka Seishu no tsuma dezidiert nicht zu erkennen.

Saturday, April 26, 2008

Kuro no tesuto kaa / The Black Test Car, Yasuzo Masumura, 1962

Masumuras Hauptthema ist, so scheint es mir, zumindest in den frühen Jahren seiner Karriere, der Wirtschaftsboom Japans in all seinen Facetten, wie er in den späten Fünfziger Jahren einsetzt. Mal wird das eher indirekt verhandelt (Kisses, Danryu, Seisaku no tsuma), mal sehr direkt, in Form cooler, slicker Industrie-Genrefilme, die den Boom nicht aus der Außenperspektive, sondern von innen analysieren. Vier Jahre nach den Süßwarenherstellern aus Giants and Toys bekriegen sich 1962 zwei Autofirmen: Tiger und Yamato. Diesmal geht es um Sportwagen, eine Fahrzeuggattung, der die japanische Gesellschaft anfang der Sechziger Jahre noch nicht so ganz getraut zu haben scheint. Zumindest umgibt sie in The Black Test Car eine Aura des Fremden, Brutalen, vielleicht auch Unjapanischen. Der Nostalgie des Filmendes allerdings wird von der Energie des restlichen Films wiedersprochen und das Bild des abtrünnigen Managers mit seiner Freundin am Strand ist keine wertkonservative Abkehr vom Turbokapitalismus, sondern einfach nur ein großartiges Kinomoment, das - wie oft bei Masumura - nicht vollständig im vermeintlichen Projekt des Gesamtwerkes aufgeht. Gekämpft wird ansonsten mit scharfer Munition, die Bilder entstammen dem Film noir, sind aber ins Widescreen-Format gestreckt.
Die beiden Autohersteller durchdringen sich gegenseitig mit Spionen, klopfen die Gegenseite auf Spuren ab, die mit (damals) modernster Technik extrahiert werden und sich in Form von Fotografien, Filmen und Tonbandaufnahmen manifestieren. Den Höhepunkt bildet eine Filmaufnahme von Lippenbewegungen, die eine Spezialistin ins Japanische rückübersetzt. Doch Bild- und Tonaufnahmen, Bilder der physischen Wirklichkeit alleine genügen nicht. Verfügar gemacht werden muss die soziale Dimension. Zu diesem Zweck werden soziale Waffen aller Art funktionalisiert, zuvorderst natürlich Sex. Der Manager, der später mit seiner Geliebten am Strand liegt, schickt dieselbe vor seiner Konvertierung ins Bett des Chefs der Konkurrenz. Beim Versuch, ihr klarzumachen, warum das so sein muss, argumentiert er schlüssig und kohärent...

Cassandra's Dream / Cassandras Traum, Woody Allen, 2007

Ewan McGregor und Colin Farrell als Modern Talking: Der Aufstrebende Dieter Bohlen will seiner deprimierenden unteren Mittelklasseexistenz entkommen und geht dabei über Leichen. Leider muss er Thomas Anders mittschleppen, der ist ein Proletarier, wie er im Buche steht und kann das Tempo nicht halten.
Woody Allens Filme werden von Jahr zu Jahr klassischer und überholen das klassische Hollywoodkino inzwischen rückwärts. Cassandra's Dream verzichtet über weite Strecken sogar noch auf die analytische Montage: Eine Szene, eine Einstellung, Schuss-Gegenschuss nur noch in Ausnahmefällen. Smooth bewegt sich die Kamera im immer genau richtigen Abstand zu den Figuren, der long take wird unsichtbar wie sonst die Montage.
Doch Woody Allen ist eben gerade kein emphatischer Klassizist, der die Tugenden der guten alten Zeit gegen die Schnellfeuermontage ausspielt. Seine Filme nähern sich einem Nullpunkt der Gestaltung an. Und gleichzeitig einem Nullpunkt der Autorenhandschrift. Bereits Scoop verhielt sich seltsam indifferent zu seinem eigenen Allen-typischen Themenkomplex. In Cassandra's Dream finden sich zwar Atheismus-Diskurse wie Hochkultur-Teaser (nicht zuletzt der Titel), aber so richtig wichtig ist das beides nicht. Vielleicht wird so etwas noch benötigt, um den Film bei den Arthaus-Verleihern zu pitchen, aber das ist auch schon alles.
Was bleibt ist reines Erzählkino und das Versprechen, dass dieses geeignet ist, in die dargestellte (aber im Grunde frei erfundene) Welt einzudringen und ihre Struktur sichtbar zu machen. Das amerikanische Erzählkino kommt von aussen und seziert Europa oder was es dafür hält. Aus der Distanz wird Allen so analytisch, wie er es vorher nur in Ansätzen war. In Cassandra's Dream entfernt sich das amerikanische Erzählkino so weit vom individualistischen Imperativ wie selten und legt dabei vielleicht auch irgendwie seine materialistische Grundlage frei, wer weiss...

Friday, April 25, 2008

Projekte

"Das Eingeschriebensein einer Autorenschaft lässt sich bei ihnen nicht auf Individuen oder fest umrissene Kollektive hin analysieren; sie entstammen rein spontanen Schwarm-Identitäten."
Christian schreibt ein mission statement zum cine:plom-Relaunch und wird sich zukünftig mit etwas beschäftigen, was sich "Internet-Mem" nennt.

politicalmoviemap. Was wird das werden, wenn es fertig ist?

Thursday, April 24, 2008

Berlin Kino, 24. - 30.04.2008

Die Neustarts dieser Woche scheinen mir zum allergrößten Teil wenig interessant. Ganz unten in den Startlisten findet sich ein Dokumentarfilm von Charles Burnett: The Blues: Warming By the Devil's Fire. Dabei handelt es sich um ein von Martin Scorsese produziertes Fernsehfeature, das Teil einer Art Mini-Serie über die Ursprünge des Blues ist. Neben Burnett sind an der Reihe unter anderen Clint Eastwood, Mike Figgis und vorhersehbarerweise auch Wim Wenders beteiligt. Des letzteren Beitrag (The Soul of a Man) lief vor vier Jahren in den deutschen Kinos. Charles Burnetts mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um ein vielfaches interessanterer Beitrag ist nächste Woche in den neuköllner Rollberg-Kinos zu sehen. Leider zu allem Überfluss auch noch mitten am Tag (15:30 Uhr; den Film gibt's zum Glück auch auf DVD). Ansonsten: Die auf der Berlinale gefeierte Fußball-Kulturschock-Doku Football Under Cover, ein ebenfalls von der Berlinale bekanntes Lesben-Polit-Pop-Irgendwas namens Itty Bitty Titty Commity und der deutsche Jugendfilm Neandertal.

Das Babylon zeigt Jacques Demy, wer die Programmpolitik des Kinos kennt, wird sich nicht wundern, dass dabei keine Komplettretro herausgesprungen ist, aber der eine oder andere schöne Film wird schon dabei sein.

Außerdem läuft dort nächsten Mittwoch Zulawskis On the Silver Globe im Rahmen der biennale (?). Die Babylon-Website bleibt zusätzliche Informationen schuldig, kündigt aber immerhin an, dass Zulawski selbst anwesend sein wird. Hmmm. Wem das zu undurchsichtig ist, der kann sich bei den Freunden des Schrägen Films Born For Hell ansehen.

Hauptsächlich in den Hackeschen Höfen findet ein polnisches Filmfestival statt. Das Programm sagt mir wenig, ich empfehle einmal vorsichtig die Retrospektive, die unter anderem Polanskis Meisterwerk Messer im Wasser zeigt.

A Boy and His Dog heißt der der Film, der diesen Freitag auf der Mitternachtsschiene des B-Ware-Ladenkinos (voraussichtlich als DVD-Projektion) gezeigt wird. Die Inhaltszusammenfassung auf imdb enthält unter anderem folgenden Satz:"A boy communicates telepathically with his dog as they scavenge for food and sex, and they stumble into an underground society where the old society is preserved."

Im Zeughauskino beginnt am Dienstag eine ambitionierte Reihe zum israelischen Kino, die sich mit Filmen der Fünfziger, Sechziger und Siebziger Jahre beschäftigt. Zu entdecken gibt es unter anderem etwas, das sich "zionistischer Realismus" nennt (eine systematische Katalogisierung der unzähligen Realismen, die sich in der Filmgeschichte verstecken, wäre ein sicher äußerst fruchtbares Unterfangen).

Das Arsenal bietet in den nächsten Tagen ein letztes Mal die Gelegenheit, den wundervollen japanischen Regisseur Yasuzo Masumura zu entdecken. Am Samstag läuft außerdem Sebastian Heidingers Drifter, der seit seiner Premiere auf der Berlinale viele Anhänger gefunden hat.

Monday, April 21, 2008

Out 1, noli me tangere, Jacques Rivette, 1971 - 1990: Fragmente

Kapitel 2: Arsenal, das verpeilteste Mitglied von "Sieben gegen Theben", ist in einer Probenpause im Bildhintergrund mit irgendetwas beschäftigt, man sieht nicht genau womit, aber irgendwann stürzt er und reißt eine kleine spanische Wand mit sich zu Boden. Dann rennt er weg.

In ein Gespräch ganz am Ende der Folge zwischen zwei Frauen (ich glaube Lili und Lucie, letztere ist vom Rest des Casts, eventuell mit Ausnahme Etiennes, durch eine Klassenschranke getrennt) dringen plötzlich Großaufnahmen ein. Das Thema des Gesprächs (Igor) spielt die nachfolgenden 4, 5 Stunden keine Rolle mehr, wird dann aber noch sehr wichtig.

Kapitel 3: Frederique geht mit einem Fußballer auf ein Hotelzimmer. Der erwartet Sex, ist aber eher belustigt, als verärgert, als seine Begleitung nicht so recht zur Sache kommen will. auf seine Frage, was sie studiere antwortet sie: "Philo" - Pause - "-sophie".

Wunderschön ist das Ende der Episode. Thomas frühstückt mit Sarah in deren Haus. Anschließend verlassen beide das Zimmer und die Einstellung durch eine Tür in der Bildmitte. Zurück bleibt ein impressionistisches Gemälde voller leuchtendem Gelb.

Kapitel 4: Noch schöner das Ende des vierten Kapitels: Thomas hat einem Kind, das bei Nicole wohnt, eine Schildkröte mitgebracht. Zunächst beginnt das Kind, recht rabiat mit dem armen Tier zu spielen, irgendwann scheint es sich aber mehr für die Kamera zu interessieren und blickt recht lange direkt in den Zuschauerraum.

Kapitel 5: Der Flirt zwischen Colin und Nicole will nicht so recht in Schwung kommen. In der Hippie-Bücherei nähert er sich ihr immer wieder, doch stets kommt etwas dazwischen. In der mehrmals unterbrochenen Szene scheitert immer wieder sein Versuch, ihr auf Augenhöhe zu begegnen. Meist befinden sich die beiden in unterschiedlichen Bildebenen. Seltsam verschachtelt sind die Räume, wie sonst nur selten im Film, der seine Verschachtelungen auf völlig andere Art und Weise und seltsam nebenbei, als puren Effekt, erzielt.

Die Sieben-gegen-Theben-Gruppe sucht den Dieb Arnoud (der später in einer wundervollen Szene gemeinsam mit Frederique vor einem Schloss sitzen wird) und breitet vor sich eine Karte von Paris aus. Die strikte räumliche Logik derselben hat mit der des Films (in dem wie aus dem Nichts manchmal im Hintergrund der Eiffelturm auftaucht) nicht das geringste zu tun. Folglich ist die Suche von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Kapitel 6: Marie hat während der Suche nach Renaud dieselbe naiv-kindisch-verspielte Ernsthaftigkeit an sich wie während der Theaterproben und tanzt zwischen fahrenden Autos herum.

Kapitel 7: Die letzten Theaterproben funktionieren nicht mehr, erstmals kommt es zum handfesten Streit. Das Theater hat sich in Richtung Leben entgrenzt und sich selbst überflüssig gemacht (oder so ähnlich, die letzte längere Theaterprobe scheint einer ähnlichen Logik zu Folgen wie der gesamte Film; deshalb vielleicht besser: Das Theater hat sich in Richtung Rivette entgrenzt). Am Ende macht sich eventuell das Leben (Rivette) dann selbst überflüssig.

Kapitel 8: Von den geschätzten zehn Enden, die Rivette anbietet, gefallen mir die Versionen "David Lynch" und "Louis Feuillade" am Besten. In seiner Dreistigkeit ist aber Rivettes Auswahl nur konsequent (und ergibt, habe ich mir sagen lassen, im Kontext seines gesamten Werkes gleich noch mehr Sinn).

O Logos, Where Art Thou

Ausnahmsweise einmal off topic, wobei soweit auch nicht, schließlich lässt sich das deutsche Diskursdefizit auch an "Daily Show" vs "RTL Samstag Nacht", dem bedingungslosen Privatismus noch des guten deutschen Autorenfilms oder auch der hießigen Nichtrezeption von The West Wing oder The Wire festmachen.
Nun aber der Flughafen Tempelhof. So sympathisch mir ja eigentlich jeder Schritt in Richtung direkte Demokratie ist, so in jeder Hinsicht unbefriedigend läuft das Ganze hier ab. Das Anliegen der Initiative lehne ich ohnehin ab, aber um die widerwärtige Springer-Kampagne oder cui bono? soll es hier gar nicht gehen.
Was wirklich ärgert, ist, dass ausgerechnet die Initiative, die das Volksbegehren in die Wege geleitet hat, eine argumentative Auseinandersetzung über das von ihr plazierte Thema nicht sucht. Und zwar nicht einmal im Ansatz, das heißt symbolisch, über die Werbeplakate der Kampagne. Denn während die Gegenseite zumindest zwei ihrer drei berlinweit plakatierten Slogans auf eine argumentative Grundlage stellt (auch wenn die noch so "verkürzt" und "populistisch" ist, wie sollte das denn sonst aussehen, vor allem bei einem solchen Gegner; unrühmliche Ausnahme ist "Ick fliege uff Berlin..."), ersetzt die City-Airport Tempelhof e.V. Argumente (oder selbst deren Schein) konsequent durch Befindlichkeit.
Denn es heißt nicht: "Hört auf Euren Verstand, nicht auf den Regierenden" (selbst das wäre noch prädiskursiv, würde jedoch zumindest die Möglichkeit / Notwendigkeit eines Diskurses postulieren), sondern "Hört auf Euer Herz, nicht auf den Regierenden". Ist das schon neoromantisch gewendeter Anarchismus oder immer noch der alte apolitische Stimmungsschmontz (der natürlich von Wahl zu Wahl neu aufgegossen wird, neu ist das alles beileibe nicht, aber gerade eine direktdemokratische Initiative hätte die Möglichkeit, trotz aller Fremdlenkung und dämlichem Anliegen daran wenigstens ein klein wenig etwas zu ändern), auf dessen Rückseite Pflüger gemeinnützige Projekte mit Grillplätzen gleichsetzt.
Ein anderes Plakat erinnert die Berlinern daran, dass sie ohnehin schon zu 76 % oder was weiß ich für den Flughafen sind und deshalb bitte auch dementsprechend abstimmen sollen. Wenn das ein Diskurs wäre (was nicht der Fall ist), wäre er so zirkulär, dass er sich eigentlich nur auf der Stelle dreht. Und die CDU infantilisiert in bester christdemokratischer Tradition das allerdämlichste Plakat zusammen: "Ich bin ein Berliner".
Auch wenn man auf medialer Ebene ein vergleichbares Diskursdefizit sehr schön besipielsweise auch in der Gegenüberstellung von Riefenstahl- und Capra-Propaganda wiederfinden kann, halte ich wenig von genealogischen Argumentationen, die beim "Erbe der Aufklärung" anfangen und dann meist ebenso vorhersehbar wie selbstgerecht-widerwärtig(-rassistisch) mit dem "wir Europäer" enden. Nein, auch die Tempelhof-Kampagne zeigt, dass es doch in erster Linie ganz konkrete Institutionen sind, die für solchen Blödsinn verantwortlich sind. Und ich schreibe hier auch weiterhin lieber über Film...

Friday, April 18, 2008

zweimal daneben

Iron Man, Jon Favreau, 2008

Paranoid Park, Gus Van Sant, 2007

Wie erwartet setzt Iron Man zwischen die Schnitte seines großartigen Trailers jede Menge inkonsequenten Quatsch ein. Robert Downey Jr. baut sich sein ganz persönliches stahlhartes Gehäuse und schäkert währenddessen mit Robotern. Das ist anfangs nett anzuschauen, kollidiert aber bald mit dem Rest des Films. Gerade die Prise opportunistischer Selbstironie sorgt dafür, dass der Fascho-Camp (harte Gitarrenriffs zu angeberischen Kamerafahrten über gewaltige Waffenarsenale) erst recht unerträglich wird. Dabei traut sich der Film vorne und erst recht hinten nichts: Der arabischen Terroristen entledigt sich der Films nach der guten Hälfte auf doch äußerst unzulängliche Art und Weise. Wird hier der amerikanische Truppenabzug aus dem Irak präfiguriert oder ist das nur Angst vor der eigenen, ohnehin nicht allzu ausgeprägten, Courage? Am Ende dann Amerika gegen Amerika, gute Waffenlobby gegen böse Waffenlobby. Auch handwerklich stimmt wenig: Eineinhalb Actionszenen sehen gut aus, ansonsten gleicht sich die unsichere Regie den im falschen Genre gefangenen Darstellern an und stolpert von Schuss zu Gegenschuss.
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Den eigentlich eher öden Themenkomplexen, an denen sich Van Sant abarbeitet, gewinnt Paranoid Park trotz allem einige großartige Szenen ab: Die Climax auf den Bahngleisen mit anschließender Parallelmontage über mehrere Zeitebenen, der dezidiert uninteressierte Sex des Hauptdarstellers mit seinem All-American-Girlfriend und deren anschließendes Telefonat, der Napoleon-Dynamite-Dialog des Bruders. Vielleicht könnte man sich um solcher Momente Willen mit der langweiligen Post-Nirvana-Depression der Skater abfinden, wenn nicht der ganze Film von einem Gestaltungswillen der aufdringlicheren Art durchsetzt wäre. Anders ausgedrückt: Immer wieder geht Christopher Doyle mit Gus Van Sant durch. Und der Toningenieur erst recht. Die Übergänge zwischen sphärischen Lounge-Klängen und hartem Realton sind die ersten drei Male beeindruckend, werden aber irgendwann zur bloßen Angeberei. Die Duschszene verwandelt das Wasserrauschen in einen apokalyptischen Alptrum aus Gewitterregen und Vogelzwitschern. Außerdem laufen die Skaters deutlich zu oft in Zeitlupe zu melancholischen Popsongs die Schulgänge herunter. Wie J. Hoberman schreibt (dem gefällt das allerdings): "The institutional corridors are automatically haunted." Ein wenig zu automatisch für meinen Geschmack.

Thursday, April 17, 2008

Berlin Kino, 17. - 23. 04. 2008

Street Kings ist ein recht ärgerlicher, öder Copfilm mit Keanu Reeves und immerhin Forest Whitaker, der hier aber nur ein müder Abklatsch seiner selbst aus der fünften The Shield-Staffel ist. Ansonsten erstarrt Drehbuchmitautor James Ellroy in seinen eigenen Klischees. Mehr hier. Warum der neue deutsche Gangsterrap noch kaum Spuren im Gegenwartskino hinterlassen hat, ist mir eigentlich schon länger ein Rätsel. Chiko ist wohl ein etwas ernsthafterer Versuch als Knallhart in diese Richtung, aber schon alleine die Tatsache, dass wieder mal Moritz Bleibtreu dabei ist und auch noch einen Dealer spielt, stimmt mich skeptisch. Ekkehard Knörer schreibt über einen französischen und einen deutschen Film, die beide lohnenswert scheinen. Außerdem wurde Heinz Strunks wundersamer nicht-ganz-autobiografischer Roman "Fleisch ist mein Gemüse" verfilmt. Hier eine etwas skeptische Review. Ich empfehle noch vor Sichtung lieber das Hörbuch.

Ein Hinweis in eigener Sache: Die sich ihrem Ende entgegen neigende debut-Filmreihe im Babylon zeigt als zweitletzten Film Nanouk Leopolds zweiten Spielfilm Guernsey, dessen Nachfolger Wolfsbergen vielleicht der eine oder andere auf der Berlinale 2007 zu Gesicht bekommen hat. Zu erwarten hat man sprödes, intelligentes europäisches Autorenkino, nicht allzuweit entfernt von einigen Ausläufern der Berliner Schule.

Das Queer-Filmfestival Verzaubert startete bereits gestern in der Kulturbrauerei. Unter anderem laufen Paranoid Park und Les Chansons d'Amour.

Im Zeughauskino läuft heute abend Jonas Mekas' extrem großartiger Tagebuchfilm Reminiscences of a Voyage to Lithuania, der mich vor eineinhalb Jahren begeisterte. Dringend zu empfehlen. Weiterhin laufen zahlreiche Filme in der Jeanne d'Arc Reihe.

Im Arsenal ist eine kleine Reihe mit Filmen über den Yangtse zu sehen, unter anderem die Dokumentation Yan mo / Before the Flood und Jia Zhang-kes Still Life.

Das Haus der Kulturen der Welt zeigt am Samstag zwei Filme Fruit Chans (Dumplings und Durian Durian). Tags darauf folgen die neuen Werke von zwei der angesagtesten Weltkinoregisseure. Tsai Ming Liangs I Don't Want to Sleep Alone habe ich noch nicht gesehen. Davor läuft Weerasethakuls Syndromes and a Century, eine sonderbare Krankenhauskomödie, die mit der bizarren Kombination von Aerobic und Science Fiction endet.

Im Babylon läuft La Notte, den ich persönlich für einen der schwächeren Filme Antonionis halte, aber: Mache sich jeder selbst ein Bild. Außerdem in der Reihe der Stummfilmkonzerte Douglas Fairbanks Robin-Hood-Film und bei den Freunden des schrägen Films Bob Clarks Death Dream.

Ebenfalls im Babylon läuft das leider bereits zum vierten Mal stattfindende und noch leiderer inzwischen ziemlich etablierte äußerst überflüssige Festival Achtung! Berlin. Schon der kurze Einführungstext schwafelt über die "gefühlte deutsche Filmhauptstadt" und "internationale Coproduktionen" und disqualifiziert sich spätestens mit dem folgenden Satz: "Die Berlin-Brandenburger Filmbranche als Teil der "Creative Industries" birgt ein enormes Zukunftspotential für die Region und verschafft dem deutschen Filmschaffen neues internationales Renommee." Mehr Worte muss man über diese Veranstaltung wohl in der Tat nicht verlieren.

Wednesday, April 16, 2008

Berlin Kino Kurzhinweis

Für die ganz Kurzentschlossenen: Heute um 22:00 zeigen die Freunde des schrägen Films nicht wie hier angekündigt den Sexploitationfilm F.U.C.K. (Free Underground Cinema Kids), sondern Bob Clarks großartigen Black Christmas, einen der wirklich allerbesten Horrorfilme der 70er Jahre.

Tuesday, April 15, 2008

Danryu / Warm Current, Yasuzo Masumura, 1957

Danryu ist ein wundervolles, knallbuntes Krankenhausmelodram, in das sich immer mal wieder und dann sehr vehement die Ökonomie einschleicht und durcheinander bringt. Ihren Ausgangspunkt hat die Handlung in den neoliberalen Reformen, durch die ein junger Manager die traditionellen Hierarchien eines als Familienbetrieb geführten Krankenhauses durcheinander bringt. Zu allem Überfluss verlieben sich gleich zwei Frauen in ihn. Die eine gehört der alten Ordnung an, ist die Tochter des patriarchalischen Krankenhausbesitzers, schmachtet im Stillen und lässt sich um ein Haar mit einem jungen Arzt verkuppeln, der sie ganz Nebenbei seiner Geliebten vorstellt und auf freundliches Miteinander hofft. Die andere passt besser zur neuen Zeit, flirtet äußerst offensiv mit dem Reformer und macht sich über ihre Kontrahentin lustig, während sie zwischen dem Nudelsuppe schlürfen in Hustenanfälle ausbricht. In einer großartigen Szene bricht sie wie ein Wirbelsturm über die melancholisch neben einer pitorresken Mauer einherschreitenden Heldin herein, wirbelt ein paarmal um sie herum und ist verschwunden, bevor ihr Gegenüber auch nur realisiert zu haben scheint, wie ihr geschieht.
Die Sympathien des Films gehören wie stets bei dem frühen Masumura der neuen Zeit. Vielleicht verlegt Danryu die Auseinandersetzung zwischen den (weltanschaulichen)Generationen auch deshalb auf die Frauen, weil dadurch die politischen Implikationen weniger problematisch sind. Denn was der Film mit dem Streik anfangen möchte, den die wegrationalisierten Angestellten vielleicht doch nicht ganz zu Unrecht gegen das neue Regime anzetteln, wird nicht ganz klar, auch wenn andernorts das alte Regime kräftig sein Fett weg bekommt. Das Ganze gipfelt in einer wundervollen Szene kurz vor Schluss, die zunächst genaus so aussieht wie der melodramatische Höhepunkt eines Liebesfilms auszusehen hat, inklusive im Wind flatterndem roten Schal, aber dann eine ganz andere Wendung nimmt.

Einleitung zu Arnold Schoenbergs Begleitmusik zu einer Lichtspielscene, Jean-Marie Straub / Daniele Huillet, 1973

Beeindruckend ist Schoenbergs wütender, kompromissloser und präziser Monolog, der den Antisemitismus nicht überhöht und mystifiziert, sondern als banalse Form von Barabrei offenlegt. Freundlich ausgedrückt überflüssig erscheint dagegen das Brecht-Zitat als Korrektiv. Den Einwurf, man müsse Kapitalismus und Faschismus zusammen denken und dürfe nicht das eine isoliert vom anderen kritisieren mag man noch als selbstgerechte Form von Diskursanalyse durchgehen lassen. Unerträglich erschient jedoch der (weniger deutlich ausformulierte) Vorwurf, Schoenberg habe es sich nach 1945 in Amerika gutgehen lassen, anstatt (gemeinsam mit Brecht wahrscheinlich) für den europäischen Sozialismus zu kämpfen.
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"Not all the Germans, of course, spent their time in Los Angeles in exitential despair. (...) Schoenberg may hve resented Shirley Temple, but he loved playing tennis with his other Brentwood neighbor, Goerge Gershwin, as well as the sunlight that flooded his study each morning while he composed." (Mike Davis, City of Quartz)

Friday, April 11, 2008

Gerade gesehen:

Das EU-Parlament hat eine gute Idee? Da kann doch was nicht stimmen...
Edit: Siehe auch Thomas

Thursday, April 10, 2008

Berlin Kino, 10. - 16. 04. 2008

Sidney Lumet, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob er selbst in den Siebziger Jahren so gut war, wie alle sagen, hat einen neuen Film gedreht. Der heißt Before the Devil Knows Your Dead und soll durchaus überzeugen (Ekkehard Knörer). Die neue deutsche Super-Spitzen-Produktion Der Rote Baron bekommt höchstwahrscheinlich von der kundigen Kritik, was sie verdient. Ansonsten: Amerikanisches Erfolgskino (21) und vermutlich schwer erträgliches von Wayne Wang (A Thousand Years of Good Prayer). Im Eiszeit läuft als Geheimtip ein kruder aber nicht uninteressanter japanischer Indiefilm an: Kain no matsuei, der dem einen oder anderen von der Berlinale 2007 vertraut sein dürfte. Wirklich empfehlen möchte ich den aber eigentlich nicht.

Nachdem letztes Wochenende ein neunstündiger Film auf dem Programm stand, legt das Arsenal diese Woche noch einmal vier Stunden drauf. Zu sehen ist Rivettes legendärer Out 1, noli me tangere. Hier Jonatahan Rosenbaum über den Film und seine Rezeptionsgeschichte.

Heute startet das Britspotting-Festival. Unter anderem ist Isaac Juliens Derek Jarman-Film, den ich auf der Berlinale verpasst habe, noch einmal zu sehen. Als Bonus werden nächsten Dienstag drei frühe kürzere Filme Juliens gezeigt, unter anderem eine dreiviertelstündige Arbeit über Langston Hughes. Der Rest des Festivalprogramms sagt mir nicht viel, da sind aber sicher noch weitere schöne Sachen dabei.

Im Zeughauskino läuft eine Reihe mit Filmen über Jeanne d'Arc. Das schöne Programm führt kreuz und quer durch die Filmgeschichte, von DeMille zu Preminger, Bresson zu Besson und schließlich von Dreyer gleich nochmal zu Rivette. Außerdem zu Victor Fleming und ins Nazikino.

Leider verpasst hatte ich den Start der türkischen Filmwochen, die bereits übermorgen zuende gehen. Der Film Yumurta, der morgen abend läuft, soll sehr interessant sein.

Und bei den Freunden des schrägen Films läuft nächste Woche ein Film mit dem wundersamen deutschen Verleihtitel F.U.C.K. (Free Underground Cinema Kids).

Monday, April 07, 2008

Kyojin to gangu / Giants and Toys, Yasuzo Masumura, 1958

Masumura zeigt den Kapitalismus von Innen. Das japanische Wirtschaftswunder hat gerade erst begonnen und wohin es letztlich führen wird, ist noch lange nicht abzusehen. Ob japanische Kinder wirklich auf beknacktes Weltraumspielzeug stehen? Die Manager in der Firmenzentrale haben zumindest schon einmal ihren Spaß mit dem Plastikzeug. Amerika ist das große Vorbild, zum Konkurrenten fühlt man sich noch lange nicht geeignet. Noch verdeckt das Staunen ob der neuen Möglichkeiten jeglichen Zweifel. Wenn überhaupt, dann kollidiert der Kapitalismus mit dem traidtionellen Melodrama, nicht mit den von ihm selbst hervorgebrachten Problemen.
Mitten drin Kyoko: Die verkörpert exemplarisch das beängstigende wie das befreiende Moment des amerikanisierten Wirtschaftens. Kyoko ist nicht mehr angewiesen auf den Habitus der alten Eliten. Dafür bleibt sie jenseits ihres reinen Marktwerts völlig substanzlos. Bei ihrem ersten Auftreten in einem Cafe ist ihr Gesicht von Konsumprodukten gerahmt. Am Ende wird es dann hinter den Blumensträußen ihrer Verehrer verschwinden. Sie ist an den Mann gebracht worden. Dazwischen bringt sie mit ihrem kariösen Lächeln nicht nur den Süßwarenmarkt, sondern auch eine Jugendfreundschaft durcheinander.
Wie stets mit viel Energie entwirft Masumura die Satire. Aber vor allem: Bei allem Übermut ungeheuer genau (mit japanischen Komödien / Satiren habe ich sonst oft meine Probleme, aber hier funktioniert fast alles, trotz mancher Albernheit). Sehr schön sind die Überblendungsmontagen, wenn zum Versuch, ein Feuerzeug zu entzünden, der Warenkreislauf in Schwung kommt. Schön sind einige Momente der Öffnung: Der Kuss im Cabrio unter der Werbetafel, eine wilde Nachtclubszene, die von den Jugendlichen entfremdeten Angestellten in der Kneipe zu Filmbeginn, die Apokalypsenminiatur am Filmende. Und seismografisch ist der Film vor allem in einer verwirrenden Sequenz, in der eine der drei Süßwarenfirmen, um die sich die Handlung dreht, auf die Idee kommt, mit inszenierten politischen Demonstrationen für ihr Produkt zu werben. Zwei Jahre später werden eben solche Demonstranten einen Eisenhower-Besuch in Tokyo verhindern.

Friday, April 04, 2008

Awesome: Jumper, Doug Liman, 2008

Dass das Hollywoodkino immer dann am besten sei, wenn es ganz bei sich selbst bleibe und jede Konfrontation mit ihm Fremden vermeide, ist natürlich Blödsinn. Dennoch: Jumper zeigt, dass zumindest das Blockbusterkino immer noch gut am meisten freude bereitet, wenn es sich von fehlgeleiteten Ambitionen und Comic-Franchises fernhält. Die Einleitung / Rekrutierung / Hintergrundgeschichte, die in so mancher Marvelverfilmung einen ganzen Film beansprucht, wird auf den Vorspann und die Titelsequenz reduziert. Jumper basiert zwar auf einem Science-Fiction Roman, gibt sich aber nicht die geringste Mühe damit, einen franchisegeeigneten Pseudomythos zu synthetisieren. Schaut man sich einen geradlinigen, awesome Hollywoodfilm wie Jumper an, merkt man erst, wie öde diese erfundenen Mythen sind: Viel zu viel Energie wird auf Bilder und Filmminuten verschwendet, die weder im Film noch im Diskurs über die Welt aufgehen (ganz sonderbar nebenbei bekerkt die Szene, in der Christensen im Fernsehen den Hurrikan Cathrina anschaut), sondern nur auf Paratexte und Plastikspielzeug verweisen.
Vielleicht sind es tatsächlich Filme wie Jumper, die man gegen den postmodernen Blockbuster in Stellung bringen kann. Filme wie Jumper oder wie letztes Jahr der sträflich unterschätzte (und im Gegensatz zu Jumper leider auch gnadenlos gefloppte) Next sind nämlich viel mehr als Superman Returns, Batman Begins & Co: Awesome. Weil sie gar nichts anderes sein wollen. Und wie, wenn nicht durch ihre awesomeness sollte sich diese Filmform rechtfertigen?
Man täusche sich nicht: So awesome die Trailer zu Ironman und Speed Racer auch aussehen, in beiden Filmen wird man zwischen der awesomeness jede Menge ödes Fanboyfutter in Form von erfundenen Mythen und gefakter Welthaltigkeit ertragen müssen (zugegeben, es gibt auch Blockbuster wie War of the Worlds oder Transformers, bei denen ab und an trotz ähnlicher Ambitionen ein wenig echte Welthaltigkeit durchschimmert --- aber diese Filme sind ja eben auch awesome).
In Jumper dagegen flippt Hayden Christensen bereits in den ersten Minuten zwischen der ägyptischen Sphinx, einem Hochhaus in New York sowie einem Traumstrand hin und her. Und er hört bis zum Ende der äußerst ökonomisch verplanten 89 Minuten nicht auf, genau das zu tun. Sicherlich drängt sich die Dreiaktstruktur manchmal vehement ins Bild und Hollywood kann es nicht lassen, selbst dem schauspielerisch völlig unbegabten Christensen ein wenig Charakterentwicklung zu verpassen. Das resultiert dann in rührend hilflosen Szenen, in denen der Jumper seiner Angebeteten wirr gestikulierend eben gerade nicht erzählen möchte, zu was für tollen Sachen er fähig ist. Aber vielleicht sind ein paar basale Drehbuchregeln nicht der allerschlechteste Weg, durchgeknallte awesomeness mit dem irgendwie doch nötigen Weltbezug zu versehen. Wenn etwas in dem Film ärgerlich ist, dann ist es gerade nicht die putzige Liebesgeschichte und der heruntergekommene Vater (den zum waschechten Alkoholiker zu machen sich Jumper denn doch nicht traut), sondern wenn überhaupt die Auftritte von Diane Lane und Jamie Bell (mit nervigem Akzent). Diese beiden treiben den Film dann doch manchmal in die Nähe der Comicbookverfilmungen: Plötzlich reicht es nicht mehr, dass Christensen ein Jumper IST, es muss auch noch etwas BEDEUTEN. Und ein Sequel muss auch dabei herausspringen können --- Jumper kann natürlich trotz allem nicht verleugnen, dass er ein Film aus dem Jahr 2008 ist.
Jumper ist in mancher Hinsicht das knallbunte Pendant zu John McTiernans düsterem Rollerball-Remake. Auch letzterer hatte kein Interesse an Weltbildung, sondern beschränkte sich auf Fleisch und stumpfen Kunststoff: The dark side of awesome. Und auch Rollerball handelte Rekrutierung / Hintergrundgeschichte ausschließlich im Prolog ab.
McTiernan hatte große Probleme mit seinem Studio, Liman zwar wohl eher weniger. Dennoch bietet sich die These an: Der Blockbuster ist dann besonders interessant, wenn er in die Hände eines auteurs fällt, aber vor dem Final Cut vom Studio radikal zerfleischt wird. Übrig bleibt die awesomeness des Regisseurs (denn die prägt sich direkt in die Bilder ein anstatt in irgendwelche Nebenkriegsschauplätze), nicht aber seine Künstlersubjektivität.
Wo allerdings McTiernan, oder möglicherweise erst der Studioeingriff, der ihm angetan wurde, die Blockbusterform eventuell tatsächlich mit dem Ziel übersteigert, sie kaputt zu machen oder wenigstens zu erschüttern, hegt Jumper solche Ambitionen nicht ein bisschen. Liman dekonstruiert das continuity system quasi nebenbei. Die absurden Stopptricks und match cuts über mehrere Kontinente hinweg innerhalb einer einzigen Actionsequenz machen natürlich nur das offensichtlich, was in James-Bond Filmen seit Jahrzehnten angelegt ist. Aber was folgt daraus? Sicherlich nicht der Kollaps einer Filmform, die schon fast 100 Jahre alt ist...
Man wirft dem Hollywoodkino seit jeher vor, dass sein idealtypischer Zuschauer höchstens sieben Jahre alt ist. Aber vielleicht muss man Hollywood das gar nicht vorwerfen. Vielleicht haben Siebenjährige einfach den besseren Filmgeschmack. Siebenjährige verlangen von einem Film nur, dass er awesome ist. Wenn sie acht, neun, zehn Jahre alt werden, fangen sie an, Comics zu kaufen. Dann nimmt das Unheil seinen Lauf.
(Link: Daniel Kothenschulte fand den Film wohl auch awesome)

Thursday, April 03, 2008

Berlin Kino 3.4. - 9.4. 2008

Heute startet mit einer jämmerlichen Kopie ein wundervoller Film namens Vögel des Himmels von der Französin Elaine de Latour. Der lief vor zwei Jahren auf der Berlinale im Panorama, dann möglicherweise nochmal im Arsenal im Rahmen der "Work in Progress"-Reihe und bekomt jetzt doch noch so etwas ähnliches wie einen echten Kinostart. Vögel des Himmels erzählt von Globalisierung, sowie von entwurzelten Individuen in Marktreisläufen und ist gleichzeitig weit entfernt von der gegenwärtigen world-cinema-coolness. Ein Film, der viel wagt und fast in jeder Hinsicht Erfolg damit hat. Mehr hier. Zu sehen im kreuzberger Eiszeit-Kino.
Michel Gondrys Be Kind Rewind (in Deutschland mit dem blöden Titel Abgedreht versehen) ist sicherlich ebenfallsäußerst lohnenswert. The Science of Sleep war schon wundervoll und diesmal ist zusätzlich noch Jack Black dabei... Hier Thomas.
Solides Handwerk irgendwo zwischen Saw und Se7en ohne weitere Alleinstellungsmerkmale bietet Gergory Hoblits Untraceable. Nichts besonderes, aber Techno-Thriller schaue ich mir eigentlich fast immer gerne an.
Aus dem Libanon stammt Caramel und ich bilde mir ein, vor kurzem irgendwo ganz tolle Sachen über den Film gelesen zu haben. Ich mag mich aber auch irren. Die Stones-Doku Shine a Light ist dagegen, nach allem was man so hört, eher öde, auch wenn zehnmal Scorsese Regie geführt hat.

Im Haus der Kulturen der Welt startet morgen die Filmreihe der sich über unterschiedliche Kulturpraktiken erstreckenden Veranstaltung Re-imaging Asia. Den Anfang machen Filme von Naomi Kawase, mit deren Shara ich mich letztens nicht so recht habe anfreunden können. Ihr neuester Film Mogari no mori (The Mourning Forest) aber soll sich durchaus lohnen. Das Highlight des Programms jedoch ist Lav Diaz' Heremias tags darauf. Filmbeginn ist um 20:00, Filmende um 5:00 am nächsten morgen, falls es keine Pausen gibt (I survived Lav Diaz`s Heremias). Cinephilie als Extremsport.

Im Arsenal läuft derweil weiterhin Masumura. Außerdem ist die Magical History Tour beim klassischen Hollywoodkino angelangt, dem ja wahrscheinlich doch irgendwie tollsten und reichhaltigsten Kapitel der Filmgeschichte (das hierzulande im Kino bei weitem nicht so präsent ist, wie es sein sollte). Zu sehen gibt's unter anderem Gangsterfilme, Sternberg, Musicals und King Kong.

Im Babylon findet ein Fußballfilmfestival statt. Konzeptionell orientiert man sich stärker an der Kreisliga als an der Champions League. Einige Projekte lesen sich in der Beschreibung so, als hätte da jemand dem Platzwart eine Kamera in die Hand gedrückt und dann mal sehen, was dabei heraus kommt. Eigentlich sympathisch, ob man es sich aber auch ansehen möchte, ist eine andere Frage.

Interessanter ist eine kleine, versteckte Retrospektive arabischer Filme, die bereits gestern gestartet ist und noch bis morgen andauert. Irgendwie scheint das Babylon recht Konsequent den uninteressanten Teil des eigenen Programms an allen Ecken und Enden zu bewerben und gleichzeitig die wenigen Perlen in den Untiefen der eigenen Website zu vergraben.

Eine Institution sind inzwischen die Freunde des schrägen Films, ebenfalls im Babylon. Nächste Woche läuft der Blaxploitationfilm Gordon's War.

Im Zeughauskino läuft am Samstag Stolen Death, anscheinend einer der größten Klassiker des finnischen Films. Leider parallel zu Heremias und ohne Wiederholung.