Wednesday, March 19, 2008

Late Rosi

Cristo si è fermato a Eboli / Christ Stopped at Eboli, 1979

Tre fratelli / Three Brothers, 1981

Dimenticare Palermo / To Forget Palermo, 1990

Die ersten Worte, die James Belushi in Dimenticare Palermo von sich gibt, lauten: "Mount Rushmore, here I Come". Den Rest des Films über muss ich mir immer wieder Belushis Gesicht in Stein gemeiselt vorstellen, zwischen Roosevelt und Lincoln am besten, da ist noch Platz (nebenbei: Sah Tom anks schon immer ein wenig aus wie James Belushi? Ich habe fast alle Hanks-Filme nach Saving Private Ryan bislang umgangen, in Charlie Wilson's War hat mich die Ähnlichkeit sehr überrascht). Den Großteil des Films verbringt Belushi dann aber denkbar weit entfernt von amerikanischen Mythen. Hilflos und missmutig stolpert er durch Palermo, deplaziert von Anfang an, ohne Projekt, ohne Perspektive. Es geht nur darum, Zeit totzuschlagen, schließlich läuft sein Wahlkampf ohne ihn besser als mit ihm, zumindest will mir das Drehbuch diesen Unsinn erzählen.

Menschen und Orte passen nicht mehr zusammen in Rosis Filmen. Belushi passt nicht zu Palermo, Gian Maria Volonte in Cristo si è fermato a Eboli sowie die Hauptfiguren aus Tre fratelli passen nicht in die Dörfer Süditaliens. Es dominiert der touristische Blick. Volonte als Carlo Levi schwelgt in demselben die erste Dreiviertelstunde des Films. Unerträglich sentimental wird das bisweilen, deutlich zu oft werden Hühner aus pitorresken Bauernhäusern getrieben. Nach einem Drittel Bauernkitsch wird Cristo si è fermato a Eboli wider Erwarten doch noch zu einem großen Film. Carlo Levi betrachtet den süditalienischen Bauernkitsch nicht mehr nur von außen, sondern verhält sich zu ihm, agiert schließlich innerhalb der Strukturen, die aus der touristischen Beobachterposition nicht greifbar waren. Nicht für Carlo Levi und nicht für den Film. Als reine Protokollanten sind beide hilflos und verwandeln Politik in Kitsch. Carlo Levis Lyrik ähnelt den in Bauernklischees schwelgenden Filmbildern bedenklich. Doch beide vollziehen im Laufe des Films dieselbe emanzipatorische Bewegung: Carlo Levi wird vom Poeten zum aktivist und Rosis Bilder dringen wieder in die Strukturen ein, anstatt sie mit feinherbem Zuckerguss zu überziehen.

Freilich: Auch in seinen großartigsten Momenten spricht der Film von Differenzen, Lücken, Missverhältnissen, die in Rosis Werk vorher schlichtweg nicht vorhanden waren. Wenn die Kamera zur Radiomeldung von Mussollinis Triumph in Äthiopien in einer grandiosen Einstellung (an der man als politischer Geste sicher auch einiges aussetzen kann, klar) die süditalienischen Weizenfelder in afrikanische Steppe verwandelt, so besteht das eigentlich problematische natürlich darin, dass Mussollini eben nicht in Süditalien ist, sondern in Äthiopien, dass der Film also eine Abwesenheit verhandeln muss. Zu der offensichtlichen Differenz zwischen 1979 und 1936 (dem Zeitpunkt der Filmhandlung) treten zahlreiche weitere, mindestens ebenso schwerwiegende.

Die grundlegende Differenz ist sowohl in Cristo si è fermato a Eboli als auch in Tre fratelli die zwischen dem norditalienischen Intellektuellen und der Landbevölkerung. In beiden Filmen erschöpft sich diese Differenz nicht im Habitus. Eher geht es um eine Differenz in der Historizität: Wenn Carlo Levi mit seiner Wirtin spricht, sind nicht nur zwei Jahrhunderte, sondern zwei Arten von Geschichtsschreibung gleichzeitig im Bild. Auch diese Bilder sind defizitäre Bilder insofern, als sich aus ihnen nicht mehr unmittelbar ein politisches Projekt ableiten lässt. Diese Fähigkeit hat das rosische Kino nach Cadaveri Eccellenti, oder vielleicht sogar bereits nach Lucky Luciano eingebüßt.

Cristo si è fermato a Eboli besteht noch darauf, dass sich diese Differenzen und Lücken (die natürlich rückgebunden werden müssen auf die Zeitgeschichte, auf Binnendiskurse der italienischen Linken etc) mit filmischen Mitteln proper, also Mise en cine und Montage, darstellen lassen, mittels eines synthetischen, vielschichtigen Stilprinzips. Tre fratelli dagegen verschreibt sich der Subjektivierung und verwandelt dadurch alle diskursiven Elemente in bloßes Spielmaterial für den Spielfilmplot, anstatt sie direkt, ungefiltert, in den Film einzuschreiben (hierzu auch Seeßlen). Ohne Zweifel verliert das rosische Kino am meisten genau zwischen diesen beiden Filmen.

Die Synthesen, schon in Cristo si è fermato a Eboli brüchig, wenn auch auf höchst interessante Art und Weise, funktionieren nicht mehr. Statt dessen: Rückblenden, Reisen, Träume. Die disparaten Elemente der Gegenwart passen nicht mehr in eine einzelne Versuchsanordnung, sondern brechen in alle Richtungen auseinander. Die Bilder des Visconti-Schülers bleiben groß, aber die Gedanken hinter den Bildern greifen nicht mehr richtig.

Die beiden Filme zwischen Tre fratelli und Dimenticare Palermo kenne ich nicht. In letzterem ist von Rosis Können wenig geblieben, der Regisseur scheint mindestens ebenso sehr sein Projekt verloren zu haben wie sein Hauptdarsteller. Der touristische Blick hat endgültig gesiegt. Der wahre Tourist in Palermo ist auch nicht James Belushi, sondern seine Frau (die einzige ausgearbeitete Frauenfigur, die ich in einem Rosi-Film bisher gesehen habe, btw). Bekushi selbst laviert sich uninteressiert durch ein wenig Melodrama und ein wenig Mafiafilm. Auch wenn der Film nicht ganz ohne Reiz ist: Aus der Konfrontation des Heterogenen resultiert nur noch ein schwaches Drehbuch.

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