Thursday, March 27, 2008

Berlin Kino, 27.3. - 2.4. 2008

Neu in den Kinos: Jumper, ein wohl recht sonderbarer Möchtegern-Blockbuster, der nach allem, was ich darüber gehört und trailertechnisch gesehen habe, wohl auf eher uninteressante Art und Weise gescheitert sein soll; dann Half Nelson, ein amerikanischer Indie, der von Ekkehard Knörer empfohlen wird. Außerdem der im allgemeinen recht positiv aufgenommene Schmetterling und Taucherglocke von Julian Schnabel.

Im Arsenal läuft zunächst einmal jede Menge Videokunst. Nächsten Dienstag dann noch einmal Charles Burnetts großartiger Killer of Sheep. Und einen Tag später wird eine Reihe zu Yasuzo Masamura eröffnet. Masumura steht in der japanischen Filmgeschichte irgendwo zwischen den Klassikern der 50er Jahre, der Nouvelle Vague um Oshima und den Genrefilmen der Sechziger Jahre. Hierzulande sind via DVD-Veröffentlichungen eher die Werke des Regisseurs bekannt, die in die letztere Richtung tendieren. Die acht Filme der Arsenal-Reihe (die leider wieder einmal nur ein gutes Drittel eines Programms aus Wien repräsentieren, was ich wie letztes Jahr bei Naruse nicht ganz verstehen kann: Wenn die Filme schon in Europa sind, müsste es doch eigentlich auch möglich sein, sie irgendwie nach Berlin zu bringen, und zwar komplett...) konzentrieren sich wohl eher auf den frühen Masumura, der noch näher am Kino Oshimas und Co orientiert ist. Zum Start der Reihe wird der wunderbare Kuchizuke (Kisses) gezeigt. Hier ein Text zu Masumura von Jonathan Rosenbaum, der maßgeblich an der Wiederentdeckung des Regisseurs beteiligt war.

Im Babylon finden die 3. arabisch-iranischen Filmtage ab morgen statt. Das Programm sagt mir gar nichts, für Hinweise auf Lohnenswertes bin ich dankbar.

Die Freunde des schrägen Films zeigen derweil weiter Vietnam-Heimkehrfilme, nächsten Mittwoch läuft ein obskurer Tierhorrorfilm namens Stanley.

Im Zeughauskino läuft ab nächsten Dienstag eine Reihe mit finnischen Filmen. Eröffnet wird die Reihe mit Crime and Punishment von Kaurismäki aus dem Jahr 1983, im weiteren Verlauf finden sich noch Ausflüge in die fernere Vergangenheit.

Ab Sonntag findet in der Werkstatt der Kulturen (über deren Existenz ich bislang noch nicht informiert war) eine Veranstaltung namens AfroBerlin 2008 statt, in deren Rahmen unter anderem sechs Spielfilme von Ousmane Sembene gezeigt werden. Genaueres über Formate etc ist mir nicht bekannt, es laufen aber auch einige Filme, die meines Wissens bislang auf DVD noch nicht mit englischen / deutschen Untertiteln erhältlich sind. Danke an orcival für den Hinweis.

Last but not least: Mein Mitblogger und (endgültig ehemaliger?) Kommilitone Christian veranstaltet im TiK Nord in der Rigaer Str. 77 seit einiger Zeit offene Kurzfilmabende, auf welchen er manchmal auch eigene Filmprojekte vorstellt und auf die ich hier schon öfters hinweisen wollte, was aber nie so recht geklappt hat. Das sei hiermit nachgeholt: Heute abend ist es wieder soweit. Um 20 Uhr geht's los.

Tuesday, March 25, 2008

Der Käutner und die Politik

Kitty und die Weltkonferenz, Helmut Käutner, 1939

In jenen Tagen, Helmut Käutner, 1947

Auf Kittys Weltkonferenz zeichnet sich Deutschland durch Abwesenheit aus. Man plant eben gerade einen Angriffskrieg und damit das Ende aller derartigen Weltkonferenzen. Kein einziges Mal wird Deutschland erwähnt und vielleicht ist das noch das offen ideologischste am Film. Mit der dargestellten Spielart von Politik möchte das dritte Reich nichts mehr zu tun haben. Der Politikbegriff des Films entstammt dem 19. Jahrhundert: Hinterzimmerdiplomatie in Gentlemenmanier, durch und durch bürgerlich, aber noch nicht in der Massengesellschaft verankert. Massenmedien gibt es zwar schon, aber die schäkern fröhlich mit und halten sich stets an die Spielregeln. Überhaupt schert sich der Film nicht um die Differenzen unterschiedlicher Ebenen. Die "internationalen Spekulanten", die Pressevertreter und die Politiker teilen Habitus, Sprache und manchmal auch die Geliebten. Wenn es einen Gegensatz im Film gibt, so stammt auch dieser aus der frühbürgerlichen Ära. Herrschaft und Dienstboten stehen sich doch noch recht unversöhnlich gegenüber. Tatsächlich sind die "Großmächte" des Films die der Vergangenheit, nämlich England und Frankreich. Die Sowjetunion und die USA wären für diesen Film fast noch weniger brauchbar als Deutschland. Frankreichs und Englands Minister treffen sich zum Golf, während die "kleinen Länder" einen Pakt schmieden. Wahrscheinlich im Cafehaus.
Internationale Diplomatie als harmlos-debile Verwechslungskomödie, in der letzten Endes alle Rollen austauschbar sind: Das im Jahr des Kriegsbeginns politisch zu lesen, ist nicht schwer. Allerdings verhält sich der Film zum Dargestellten zwar herablassend, aber nie böswillig. Eher scheint aus Kitty und die Weltkonferenz eine Nostalgie zu sprechen. Für was genau, lässt sich allerdings schwer feststellen. Die "Weltkonferenz" des Films ist eine Weltwirtschaftskonferenz und findet dezidiert nicht im Rahmen des Völkerbundes statt. Der ist - und da ist der Film natürlich durch und durch auf Parteilinie - nach den Worten eines putzigen Schweizers gleich zu Filmbeginn, schon lange gescheitert. Dennoch scheint die Nostalgie des Films etwas mit der Völkerbundsidee zu tun zu haben, beziehungsweise zumindest mit einer reaktionären mitteleuropäischen Spielart dieser Idee: Der Völkerbund als Fortsetzung der Geheimdiplomatie des neunzehnten Jahrhunderts mit modernen Mitteln, aber selbstverständlich unter Beibehaltung alter Hierarchien.
Alles in allem macht sich Deutschland in dem Film erstaunlich wenig über seine designierten Kriegsgegner lustig. Statt dessen fantasiert es sich in die goldene Zeit des Kolonialismus' zurück, in der es noch möglich war, eine Handvoll kleinerer Länder dank einer gezielt plazierten falschen Information an der Nase herum zu führen. Rückprojiziert auf die Realgeschichte ist Kitty und die Weltkonferenz in jedem Fall ein reichlich sonderbares und in vieler Hinsicht paradoxes Artefakt.
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Weitaus einfacher zu lesen ist In jenen Tagen, ein Geschichtsaufarbeitungsfilm, der sich selbst konsequnet jedes kritischen Potentials beraubt (siehe dazu auch Christian). Bei dem schon rein konzeptionell problematischen Versuch, das "menschliche" ausgerechnet dadurch wiederzufinden, dass man ein Automobil vermenschelt und mit ihm menschelnde Naziopfer beziehungsweise vorsichtige Mitläufer durch die Gegend kutschiert, geht politisch so ziemlich alles schief was schiefgehen kann. Vor allem die letzten drei Episoden fahren den Karren endgültig gegen die Wand. Während einer Aufklärungsfahrt an der russischen Front ergeht sich ein aufrechter Zweifler in aufdringlichen Anspielungen auf die Weltlage ("Dass in diesem Land aber auch niemand umdrehen möchte!"). Am Ende castet Käutner unter den Vertriebenen (ausgerechnet unter denen...) sogar eine neue heilige Familie zusammen. Aus der wirren Naivität von Kitty wird banale Lüge. Wo 1939 phantasievoll nicht vorhandenes (zum Beispiel ein fiktiver südamerikanischer Zwergstaat) synthetisiert wird, wird 1947 phantasielos vorhandenes verdreht. Die bundesdeutsche (oder zumindest die käutnersche) Antwort auf den paranoiden Politkbegriff der Vorkriegszeit ist die vollständige Leugnung einer politischen Sphäre als einer greifbaren, manipulierbaren. Am Anfang des Films, in den ersten beiden Episoden, vor allem in der grandios inszenierten zweiten um das Liebesleben eines modernistischen Komponisten, ist diese Leugnung immerhin noch ästhetisch interessant. Der Reichstagsbrand in der Unschärfe im Hintergrund, das von Trennung bedrohte Liebespaar im weichgeuzeichneten Vordergund (in einem der wenigen ehrlichen Momente des Films wird der männliche Teil des Liebespaares einige Episoden später in reichsdeutscher Uniform wieder auftauchen). Das bürgerliche Picknik, Blickwechsel der Eifersucht, ein Tränenausbruch als hilflose Antwort auf die Unvereinbarkeit von Politischem und Privaten. In dieser kurzen Vignette steckt ein ganzer Visconti. Dass Käutner ein so ausgezeichneter Regisseur war, macht seinen Film in diesem Fall nur noch ärgerlicher.

Thursday, March 20, 2008

Berlin Kino 20. - 26.3.2008

Sowohl von Roy Andersson als auch von Youssef Chahines habe ich noch nichts gesehen. Ekkehard Knörer schrebt über die neuen Filme beider Regisseure. Lohnender ist wohl der ägyptische namens Chaos. Rochus Wolff ist derweil begeistert von Juno, einer amerikanischen Komödie, die oft mit Little Miss Sunshine verglichen wird, einem Film, dem ich möglicherweise zu Unrecht misstraut habe. Außerdem: Dan in Real Life (hier noch einmal Rochus) mit Steve Carell und Juliette Binoche.

Wieder einmal ein Hinweis in eigener Sache: Die programmtechnisch von mir mitverantwortete Reihe debut zeigt am Mittwoch im Babylon den wunderbaren Film Kubrador, der ein schönes Beispiel für die jüngste Renaissance des philippinischen Kinos darstellt.

Gleich danach läuft ebenfalls im Babylon bei den Freunden des schrägen Films (die es inzwischen sogar schon einmal in den großen Saal geschafft haben) den frühen Slasher Don't Answer the Phone! von Robert Hammer.

Im Arsenal geht es sehr deutsch zur Sache. Neben der Asta-Nielsen-Reihe zeigt das Kino über Ostern in der Magical History Tour Filme aus dem dritten Reich, unter anderen Kolberg am Samstag. Am Mittwoch läuft dann zur Entspannung Max Ophüls schöne niederländische Produktion Komedie om Geld.

Im Zeughaus läuft weiter Käutner und im B-ware Ladenkino Santo.

Wednesday, March 19, 2008

Late Rosi

Cristo si è fermato a Eboli / Christ Stopped at Eboli, 1979

Tre fratelli / Three Brothers, 1981

Dimenticare Palermo / To Forget Palermo, 1990

Die ersten Worte, die James Belushi in Dimenticare Palermo von sich gibt, lauten: "Mount Rushmore, here I Come". Den Rest des Films über muss ich mir immer wieder Belushis Gesicht in Stein gemeiselt vorstellen, zwischen Roosevelt und Lincoln am besten, da ist noch Platz (nebenbei: Sah Tom anks schon immer ein wenig aus wie James Belushi? Ich habe fast alle Hanks-Filme nach Saving Private Ryan bislang umgangen, in Charlie Wilson's War hat mich die Ähnlichkeit sehr überrascht). Den Großteil des Films verbringt Belushi dann aber denkbar weit entfernt von amerikanischen Mythen. Hilflos und missmutig stolpert er durch Palermo, deplaziert von Anfang an, ohne Projekt, ohne Perspektive. Es geht nur darum, Zeit totzuschlagen, schließlich läuft sein Wahlkampf ohne ihn besser als mit ihm, zumindest will mir das Drehbuch diesen Unsinn erzählen.

Menschen und Orte passen nicht mehr zusammen in Rosis Filmen. Belushi passt nicht zu Palermo, Gian Maria Volonte in Cristo si è fermato a Eboli sowie die Hauptfiguren aus Tre fratelli passen nicht in die Dörfer Süditaliens. Es dominiert der touristische Blick. Volonte als Carlo Levi schwelgt in demselben die erste Dreiviertelstunde des Films. Unerträglich sentimental wird das bisweilen, deutlich zu oft werden Hühner aus pitorresken Bauernhäusern getrieben. Nach einem Drittel Bauernkitsch wird Cristo si è fermato a Eboli wider Erwarten doch noch zu einem großen Film. Carlo Levi betrachtet den süditalienischen Bauernkitsch nicht mehr nur von außen, sondern verhält sich zu ihm, agiert schließlich innerhalb der Strukturen, die aus der touristischen Beobachterposition nicht greifbar waren. Nicht für Carlo Levi und nicht für den Film. Als reine Protokollanten sind beide hilflos und verwandeln Politik in Kitsch. Carlo Levis Lyrik ähnelt den in Bauernklischees schwelgenden Filmbildern bedenklich. Doch beide vollziehen im Laufe des Films dieselbe emanzipatorische Bewegung: Carlo Levi wird vom Poeten zum aktivist und Rosis Bilder dringen wieder in die Strukturen ein, anstatt sie mit feinherbem Zuckerguss zu überziehen.

Freilich: Auch in seinen großartigsten Momenten spricht der Film von Differenzen, Lücken, Missverhältnissen, die in Rosis Werk vorher schlichtweg nicht vorhanden waren. Wenn die Kamera zur Radiomeldung von Mussollinis Triumph in Äthiopien in einer grandiosen Einstellung (an der man als politischer Geste sicher auch einiges aussetzen kann, klar) die süditalienischen Weizenfelder in afrikanische Steppe verwandelt, so besteht das eigentlich problematische natürlich darin, dass Mussollini eben nicht in Süditalien ist, sondern in Äthiopien, dass der Film also eine Abwesenheit verhandeln muss. Zu der offensichtlichen Differenz zwischen 1979 und 1936 (dem Zeitpunkt der Filmhandlung) treten zahlreiche weitere, mindestens ebenso schwerwiegende.

Die grundlegende Differenz ist sowohl in Cristo si è fermato a Eboli als auch in Tre fratelli die zwischen dem norditalienischen Intellektuellen und der Landbevölkerung. In beiden Filmen erschöpft sich diese Differenz nicht im Habitus. Eher geht es um eine Differenz in der Historizität: Wenn Carlo Levi mit seiner Wirtin spricht, sind nicht nur zwei Jahrhunderte, sondern zwei Arten von Geschichtsschreibung gleichzeitig im Bild. Auch diese Bilder sind defizitäre Bilder insofern, als sich aus ihnen nicht mehr unmittelbar ein politisches Projekt ableiten lässt. Diese Fähigkeit hat das rosische Kino nach Cadaveri Eccellenti, oder vielleicht sogar bereits nach Lucky Luciano eingebüßt.

Cristo si è fermato a Eboli besteht noch darauf, dass sich diese Differenzen und Lücken (die natürlich rückgebunden werden müssen auf die Zeitgeschichte, auf Binnendiskurse der italienischen Linken etc) mit filmischen Mitteln proper, also Mise en cine und Montage, darstellen lassen, mittels eines synthetischen, vielschichtigen Stilprinzips. Tre fratelli dagegen verschreibt sich der Subjektivierung und verwandelt dadurch alle diskursiven Elemente in bloßes Spielmaterial für den Spielfilmplot, anstatt sie direkt, ungefiltert, in den Film einzuschreiben (hierzu auch Seeßlen). Ohne Zweifel verliert das rosische Kino am meisten genau zwischen diesen beiden Filmen.

Die Synthesen, schon in Cristo si è fermato a Eboli brüchig, wenn auch auf höchst interessante Art und Weise, funktionieren nicht mehr. Statt dessen: Rückblenden, Reisen, Träume. Die disparaten Elemente der Gegenwart passen nicht mehr in eine einzelne Versuchsanordnung, sondern brechen in alle Richtungen auseinander. Die Bilder des Visconti-Schülers bleiben groß, aber die Gedanken hinter den Bildern greifen nicht mehr richtig.

Die beiden Filme zwischen Tre fratelli und Dimenticare Palermo kenne ich nicht. In letzterem ist von Rosis Können wenig geblieben, der Regisseur scheint mindestens ebenso sehr sein Projekt verloren zu haben wie sein Hauptdarsteller. Der touristische Blick hat endgültig gesiegt. Der wahre Tourist in Palermo ist auch nicht James Belushi, sondern seine Frau (die einzige ausgearbeitete Frauenfigur, die ich in einem Rosi-Film bisher gesehen habe, btw). Bekushi selbst laviert sich uninteressiert durch ein wenig Melodrama und ein wenig Mafiafilm. Auch wenn der Film nicht ganz ohne Reiz ist: Aus der Konfrontation des Heterogenen resultiert nur noch ein schwaches Drehbuch.

Friday, March 14, 2008

The Wire

2002-2008

Shi gan / Time, Kim Ki-duk, 2006

Kim Ki-duk ist einer der fleißigsten Filmkunsthandwerker des internationalen Festivalbetriebs. Überraschenderweiße ist er trotz beeindruckender Arbeitsfrequenz (mindestens ein Film pro Jahr) und dem überschaubaren Zutatenschatz seines Oeuvres ein klassischer Hit or Miss Regisseur. Oder schleichen sich vielleicht Metarhythmen in die Filmografie ein? Zumindest bezogen auf die letzten sechs Werke (soeben erschienen sind in einer schönen Edition zwei Frühwerke, mehr hier) finden sich zwei parallele Dreiklänge mit Filmen jeweils völlig unterschiedlicher, innerhalb der jeweiligen Serie aufsteigender Qualität. Zuerst exotistisch-berechnender Quatsch (Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling, 2003; The Bow, 2005), dann High-Concept Themenfilme mit leichtem Exploitationeinschlag (Samaria, 2004; Time, 2006) und schließlich radikalformalistische Fast-Meisterwerke (Bin-jip, 2004; Breath, 2007). Zu vermuten ist, dass der Regisseur mit den Werkgruppen jeweils völlig unterschiedliche Ziele verfolgt. Die erstere zielt aufs europäische Arthauskino proper, das gerne über das so ganz Fremde Andere staunt und dabei nicht bemerkt, dass es lediglich seinen eigenen Fantasien ins Gesicht blickt. Die zweite Gruppe zielt eventuell etwas stärker auf den Heimatmarkt, bleibt zumindest näher am kommerziellen Genrekino. Die dritte schließlich liefert Rätselkino ohne Auflösung zwecks Selbstinthronisierung im Auteurspantheon. Die erste Kategorie zielt auf die Marke, die zweite aufs Geld, die dritte auf die Ewigkeit.
Time positioniert sich also in der leider tendenziell etwas lauen Mitte des Kim Ki-dukschen Universums. Es geht um Schönheitsoperationen sowie darum, was sich damit filmisch so alles anstellen lässt und zwar auch jenseits der Nip/Tuck- beziehungsweise RTL-Liga. Im Ansatz gelingt dem Koreaner denn auch tatsächlich eine amüsante Verwechslungstragikomödie. Schön ist vor allem die Figurenzeichnung, die nicht nur von ferne an den ungleich begabteren Kollegen Hong Sang-soo erinnert. Interessanterweise ist hier die Frau weitaus psychotischer als der Mann. Insbesondere eine Szene früh im Film, in einem Cafe, ist großartig. Jedes Wort, jede Geste führt unweigerlich und folgerichtig in die falsche Richtung.
In erster Linie ist Kim Ki-duk natürlich Formalist. Leider kommt der Formalismus in Time, anders als bei Hong Sang-soo, größtenteils von außen und nicht aus dem Erzählmaterial selbst (auch deshalb ist Kim Ki-duk umso besser, je weniger er erzählt: Die Erzählung ist immer Überschuss, nie Teil des formalen Programms). Also müssen die Hauptfiguren vor und nach der einschneidenden OP auf albernen Wasserskulpturen herumturnen (eine dieser Skulpturen schmückt nebenbei bemerkt das Titelbild der neuen Splatting Image) und auch sonst so einigen Unsinn machen. Und das ist denn doch wieder etwas ermüdend.

Thursday, March 13, 2008

Daratt, Mahamat-Saleh Haroun, 2006

Eine Sisyphos-Miniatur als Allegorie in der Allegorie: Eine Frau trägt einen Frücchtekorb auf dem Kopf. Eine Fraucht fällt und im selben, Moment, in dem sie sie zurücklegt, fällt die nächste. So geht das eine Weile, bis Atim ihr zur Hilfe eilt. Gefilmt in einer kontinuierlichen Einstellung mit mittlerem Abstand, die Seitenstreben des Bäckerstandes, in dem Atim arbeitet, begrenzen auch das Bild. Die lakonische Genauigkeit dieser Vignette prägt den gesamten Film.
Die Allegorie hat mindestens zwei Ebenen: Die lokale und die nationale. Der Tschad in Daratt ist genug Tschad um lokal anschlussfähig zu sein, aber nicht so sehr und ausschließlich Tschad, als dass er nicht auch pars pro toto für andere afrikanische Staaten stehen könnte. Aber die Fähigkeit zur ehrlichen Abstrahierung gewinnt der Film aus seinem Bewußtsein fürs lokale Detail.
Abstrahiert wird dennoch: Der Bürgerkrieg ist ein abstrakter und immer schon vorbei, die Leichen sind schon abgeräumt, am Schlachtfeld bedrückt nicht das Gräuel sondern die Leere. Es kann dann auch nicht darum gehen, Leichen auszugraben, sondern nur darum, neue Formen des sozialen Miteinanders der Leere entgegen zu setzen.
Atim tötet Nassara, den Mörder seines Vaters nicht. Nicht ganz unschuldig daran ist Aicha, Nassaras junge Frau. Eitelkeit besiegt Mordlust: In Atims Hand ist nur Platz für entweder Pistole oder Deodorant. Genauer als in nicht nur dieser Szene kann politisches Kino kaum sein.
Lokal geht es um Versöhnung, national um postkoloniale, marktkapitalistische Unterdrückung. Obwohl Atim und Nassarat zusammenarbeiten und gemeinsam Brot backen, kann die Konkurrenz billiger produzieren. Produziert hat Daratt unter anderen Abderrahmane Sissako, mit dessen melancholisch-politischer Ästhetik Harouns Film viel gemein hat.

Berlin Kino, 13.- 19. 03. 2008

Heute startet Walk Hard - The Dewey Cox Story, eine neue Komödie aus dem Judd Apatow Camp. Der Titel legt nahe, den Film als Abschluss einer Trilogie zu betrachten, die hiermit startete und hiermit fortgeführt wurde. Freilich sind diesmal weder Adam McKay noch Will Ferrell beteiligt. Dafür jedoch John C. Reilly, der in Talladega Nights sowohl Ferrell als auch Ali G in den Schatten stellte (siehe auch hier). Der Trailer sieht zumindest schon einmal hervorragend aus. Ansonsten: wenig. 13 Tzameti wurde viel gelobt, Ekkehard Knörer dagegen rät ab. Und Horton Hears a Who! sieht mir doch etwas zu kindgerecht aus.

Im Arsenal läuft am Montag Jitensha Toiki, ein Frühwerk von Sono Sion, einem der bereits etwas gealterten jungen Wilden des japanischen Kinos. Bei Sono ist von radikal reduziertem Kunstkino (Heya) bis schlechten Exploitationversuchen (Strange Circus, wobei: Thomas) alles drin, man darf also gespannt sein. Außerdem am Dienstag: Gus Van Sants Drugstore Cowboy.

Im Babylon findet am Wochende zweimal ein Stummfilmmarathon statt. Ich empfehle trotzdem lieber Cannibal Apocalypse, vom großen Anthony Dawson aka Antonio Margheriti.

Das Zeughauskino zeigt eine Reihe von Filmen Helmut Käutners. Ich selber kenne da noch gar nichts, umso mehr freut micht diese Gelegenheit.

Die freitägliche Mitternachtsschiene (beziehungsweise 23:00Uhr-Schiene) des b-ware Ladenkinos widmet sich nach Buttgereit nun der mexikanischen Wrestling / B-Movie Legende Santo, dem Titelhelden einer der langlebigsten Filmserien dieses Planeten. Angekündigt sind fünf Filme in den nächsten fünf Wochen, den Anfang macht Santo contra la hija de Frankenstein. Eine Entdeckungsreise, die sich mit Sicherheit lohnen wird.

Noch mehr Exploitation-Madness im Z-inema, ohnehin immer eine sichere Anlaufstelle für derartiges. Am Sonntag läuft hier La Banda de los tres crisantemos aus dem Jahr 1970, wohl so etwas ähnliches wie eine Eurosploitation-Version von The Godfather.

Monday, March 10, 2008

Ein Lied für Argyris, Stefan Haupt, 2007

Argyris Sfountouris hat recht: Der moralische Bankrott der Generation Merkel wird von einem sprachlichen begleitet. Man leistet nicht nur gerne Trauerarbeit, zu allem Überfluss nennt man sie auch noch so. Der deutsche Botschafter in Athen verbindet Merkels Sprachverirrungen und Schröders patriarchalisch-debilen Tonfall. Die Konsequenzen seiner "Betroffenheit" will er natürlich nicht ziehen, schließlich sei es ehrenrührig von einem befreundeten Land Kriegsentschädigungen zu fordern. Im Klartext: Verbündeten bekommen kein Geld und unseren Feinden zahlen wir natürlich gleich gar nichts. Kein Geld für niemand. Dies ist nicht nur Spiegel/Merkel/Schröder-Meinung sondern leider Gottes Konsens bis tief in die Linke. Sfountouris wird bei seinem Besuch in Berlin folglich auch nur von einer Handvoll junger Menschen begleitet, die ganz dezidiert auch bei den Jusos keinen Platz finden (kann natürlich sein, dass doch auch ein paar Jusos dabei waren, wer weiß, aber vor allem insgesamt: sehr wenige).
Dieser Kern des Films ist sein Schluss. Davor holt Haupt weit aus, über die Jugend im griechischen Dorf und bedrückende Reenactments des Massakers aus Opferperspektive bis zur Hoffnung auf die Wiederauferstehung des humanen Abendlandes in der Schweiz und die Zerstörung dieser Hoffnung im griechischen Militärputsch. Mikis Theodorakis werde ich zwar auch weiterhin und unter allen Umständen nicht in meine Plattensammlung aufnehmen, aber das hat jetzt noch stärker als vorher ausschließlich musikalische Gründe.
Der Film braucht diese ersten zwei Drittel, um die Perfidie Spiegels et al am Ende umso deutlicher heruauszustellen. In deren Verlauf macht er nicht immer alles richtig (der Voice-Over Kommentar hat seine schwachen Momente: "die Zeit heilt alle Wunden. Sagt man" und ein paar Mal zu oft panflötet es über poetischen Dorfwiesen) aber insgesamt doch das meiste. Und ein durch und durch wichtiger Film ist Ein Lied für Argyris ohnehin. Und auch dieser Film entstand nicht in Deutschland, sondern in der Schweiz. Hierzulande dreht sogar ein Hartmut Bitomsky inzwischen Filme über Staub.

Thursday, March 06, 2008

Berlin Kino, 6.3. - 12.3. 2008

Der neue Haggis enttäuscht. Hier ausführlicher. Der neue Emmerich dagegen erfüllt die Erwartungen in vollem Umfang. Anschauen lohnt sich in beiden Fällen höchstens aufgrund einiger Nebendiskurse, die man an die Bilder anschließen kann. Die Bilder selbst sind in beiden Fällen extrem arm. Ekkehard Knörer weist auf einen afrikanischen Film hin, der sich sehr interessant anhört. Mehr dazu auch hier. Also fsk statt Cinestar diese Woche. Außerdem: Doris Dörrie...

Im Arsenal wird heute die Asta-Nielsen-Retrospektive eröffnet. Gezeigt werden alle erhaltenen Werke, unter anderem einige Raritäten aus ihrer frühen dänischen Phase. Welche Filme von mehr als nur allgemein filmhistorischem Interesse sind, weiß ich leider nicht zu beurteilen. Nächsten Montag läuft außerdem Dovzhenkos sehr interessanter Aerograd aus dem Jahr 1935, der auf sonderbare Weise stalinistische Propaganda mit einer utopischen Energie vermischt, die noch stark an das Sovjetkino des vorangegangenen Jahrzehnts erinnert. Ein kurzer Clip findet sich auf youtube, den kompletten Film gibt's bei archive.org inklusive englischer Untertitel.

Im Babylon läuft ein neuer deutscher Film namens Porno!Melo!Drama! der wahrscheinlich nicht viel taugt. Bei den Freunden des schrägen Films läuft dafür Nightmare Honeymoon. In einer imdb-Review zum Film lese ich: "The final confrontation with the deranged rapist Lee [...] is rather overlong but atmospheric [...]." Aha.

Von Interesse könnte ein deutscher Kriminalfilm aus dem Nachkriegsberlin des Jahres 1952 sein: Die Spur führt nach Berlin von Frank Cap läuft morgen im Zeughaus.

Ebenfalls morgen um 23 Uhr läuft im b-ware-Ladenkino Buttgereits Nekromantik 2 in Anwesenheit des Meisters.

Sunday, March 02, 2008

Erinnerungen an zwei Filme aus dem letzten Herbst im Kino Arsenal

The River, Pare Lorentz, 1938

Jujiro / Crossroads, Kinugasa Teinosuke, 1928

Der New Deal als das letzte große gesamtgesellschaftliche Projekt des weißen Amerikas. Nach der Erschließung, nach der Urbarmachung, nach der Urbanisierung und nach der Technisierung sollen nun die Kollateralschäden beseitigt werden. Klar ist: Danach kann nicht mehr viel kommen. Keine Suche nach einer neuen Frontier, der Blick wird fortan nach Innen gerichtet. Die NASA ist schon zwei Jahrzehnte vor ihrer Gründung auf dem Holzweg. The River ist ein Film, der das Texas Chainsaw Massacre hätte verhindern können. Der Mississippi als Lebensbaum der USA. Lyisch und doch stets völlig unprätentiös das Voice-Over, gesprochen von Thomas Chalmers. Vollkommen grandios die Musik. Die Montagesequenzen betonen nicht die Brüche, nicht die qualitativen Sprünge, sondern die Kontinuitäten, die Übersetzbarkeit, den Zusammenhang zwischen der Quelle und der Mündung. Keine intellektuelle, sondern eine konstruktiv-demokratische Montage. Auch Lorentz' Impetus ist ein didaktischer, aber er ist kein hermetisch verschlossenes Künstlersubjekt, sondern nur jemand, der durch Recherche und vorsichtige Abstraktion ein wenig mehr Überblick gewonnen hat. Das Wechselverhältnis zwischen Mensch und Natur ist gestört, kann aber wieder produktiv werden. Der Lebensbaum muss gepflegt werden. Der Film ist ein Appell, der das Gegenteil vom "Du bist Deutschland" ist. Ebenso das Gegenteil von Riefenstahl. Der Film will Diskurs sein und ist es auch, er ist noch in seinen manipulativsten Gesten ehrlich, der Mississippi als Lebensbaum ist ein Vorschlag, keine Ideologie. Außerhalb Hollywoods, aber doch innerhalb des amerikanischen Kinos. Nicht weit weg von den Propagandafilmen Capras beispielsweise. Nicht weit weg von The West Wing und The Wire. Wann hat es jemals so etwas in Deutschland gegeben?
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Jujiro entstand nur 10 Jahre vor The River. Und scheint doch einer anderen Epoche anzugehören. Nicht unbedingt einer früheren. Eher einer, auf demselben Zeitstrahl keinen Platz findet. Regisseur Kinugasa hatte zwei Jahre vorher den hypnotischen, wahnwitzigen Kurutta ippeiji gedreht. Jujiro ist nicht zugunglicher, zumindest nicht in der ersten Hälfte. Wieder ist nicht klar, ob es am physischen Objekt liegt, an mangelhafter Restauration, an fehlerhafter Übersetzung der Zwischentitel, an mutwilliger Beschädigung des Materials durch den Regisseur (bei Kurutta ippeiji wird dies diskutiert) oder an einer Differenz, sei sie nun kultureller oder filmpoetischer Natur. Was bleibt: Anfangs läuft einer die Treppen hoch und verschwindet fast in expressionistischen Montageexperimenten, oben angekommen liegt jemand im Sterben. Nacher eine eindrückliche Sequenz auf einem Jahrmarkt, Menschen überfluten die Kamera, Schriftzeichen dringen in den Bildraum ein, Spiralen drehen sich, man weiß nicht wohin, man weiß nicht warum. Auf diesem Jahrmarkt ist buchstäblich alles möglich, man wäre schön blöd, wenn man versuchen würde, aus diesem großartigen Chaos einen Plot zu extrahieren, wenn man sich doch tausend andere Sachen anschauen kann. Noch später jedoch brechen alle Expressionismus-Evokationen weg, Jujiro wird zum herzerweichenden Melodram, besteht fast nur noch aus leidenden Frauen in Innenräumen. Viel weiß ich auch hiervon nicht mehr: Wer war nun die Schwester und wer die Mutter? Warum will der Mann seine Schwester verkaufen? Warum lachen die anderen Frauen diese Frau aus? Der Plot verschwindet, die Bilder bleiben.