Saturday, February 02, 2008

Berlinale 2008: Notizen

Buda as sharm foru rikht / Buddha Collapsed Out of Shame, Hana Makhmalbaf, 2007

Musunde hiraite, Izumi Takahashi, 2007

Nirvana, Igor Voloshin, 2008

Corroborree, Ben Hackworth, 2007

Hana Makhmalbaf ist Mohsens jüngste Tochter und wie ihre Schwester Samira längst Teil der internationalen Festivalszene. Ihr erster Spielfilm Buddha Collapsed Out of Shame ist eine Allegorie der unsubtileren Art: Der Clou des Streifens ist schon im Namen enthalten und erfüllt sich sowohl im ersten, als auch im letzten Bild. Dazwischen der Inhalt der Allegorie: Das, weswegen Buddha vor Scham kollabiert. Wer mit dem Kino der Makhmalbafs, insbesondere Samiras, oder auch nur der Festivallogik vertraut ist, wird sich nicht wundern, dass er dies aufgrund der multiplen Unterdrückungsstrukturen der afghanischen und implizit auch der iranischen Gesellschaft tut. Ebensowenig wird er sich darüber wundern, dass die Akteure des Films fast ausschließlich Kinder sind. Auch diese Strategie kennt man nicht nur aus Samiras schönem Debut The Apple (Sib, 1998). Zu vermuten ist, dass so gleich zwei Ziele verfolgt werden: Einerseits soll der heimischen Zensur ein Schnippchen geschlagen werden, indem die politische Kritik kodifiziert wird (aber dennoch deutlich lesbar bleibt) und dadurch die Voraussetzungen für eine Fortführung der eigenen Filmpraxis im Heimatland erhalten bleiben. Andererseits spekuliert dieses Kino auf Nischen im Festivalbetrieb, welcher zwar immer nach dem Politischen schreit, dieses aber doch bitte entsprechend verpackt und entschärft präsentiert bekommen möchte, auf dass er es selbst entsprechend verpacken, präsentieren und dadurch noch einmal entschärfen kann. In diesem Fall läuft Hana Makhmalbafs Film im Kinder- und Jugendprogramm der Berlinale, und zwar nicht einmal im etwas "erwachseneren" Bereich "14+". Einen Film wie Buddha Collapsed Out of Shame als Kinderfilm umzudeuten, nur weil Kinder die Hauptrollen übernehmen (sind dann Les Quatre cents coups und Ohayo auch Kinderfilme? Und liefe Melvilles Les enfants terribles im Bereich "14+"?) ist entweder auf Lust an der Subversion oder auf Dummheit zurückzuführen.
Jenseits aller Programmierungspolitik ist Buddha Collapsed Out of Shame ein guter, schöner, kraftvoller Film, gerade wegen seines Mangels an Subtilität. Subtilität ist wahrscheinlich grundsätzlich der falsche Modus für Sozialkritik. Überhaupt, die Subtilität... Dazu vielleicht bald mehr.

Musunde hiraite ist für mich jetzt schon die größte Enttäuschung des Festivals. Der Debutfilm des Regisseurs Izumi Takahashi The Soup, One Morning (Ara asa, Soup wa, 2003) gehört zu dem eindrücklichsten, was ich aus dem Bereich des japanischen Indie-Kinos kenne: Ein extrem reduziertes, klaustrophobisches Beziehungsdrama, das mit minimalem Budget und Personal maximale Wirkung zeitigt. Eine der Stärken sind dieses Films ist in Izumis Nachfolgeprojekt im Ansatz noch erkennbar. Vor allem zu Beginn konzentriert sich auch Musunde hiraite auf Innenräume, enthält die Großstadt nur als dasjenige, was manchmal durch das Fenster aufblitzt, oder durch die Türöffnung für einen Moment sichtbar wird. Eine Stadt, die gerade durch ihre Abwesenheit, beziehungsweise durch die Versuche der Figuren, sich von ihr zu distanzieren (nicht umsonst geht es im ersten Teil des Films darum, dass einige Hausschlüssel vertauscht wurden und nun unbedingt wiederbeschafft werden müssen) als prägende Kraft in ihrem Leben präsent ist. Geblieben ist auch das Fotografiemotiv, abgesehen von einigen netten optischen Tricks führt dieses jedoch, wie der Rest des Films, straight ins Nichts.
Völlig verloren gegangen ist die Stringenz, die The Soup, One Morning auszeichnete. Bereits in narrativer Hinsicht durch zu viele, ungenau gezeichnete Charaktere und deren wirre Handlungen (wirr nicht als überforderte Reaktion auf überfordernde Situationen, wie in The Soup..., sondern mehr oder weniger aus Scheiss) hoffnungslos überfrachtet, geht vor allem in formaler Hinsicht hier restlos alles durcheinander. Die klassische Auflösung einzelner Szenen bringt Izumi bei jeder Gelegenheit durch dekorativ modernistische Experimente aus dem Gleichgewicht. Zum Einsatz kommen neben rhythmischen Montagesequenzen und allerweltslyrischen Klavierklängen dabei auch schwarz-weiss-Bilder, bei denen sich mir nie erschlossen hat, ob sie auch nur irgendeinen semantischen Mehrwert besitzen (Rückblenden eventuell?). Gut aussehen tut Musunde hiraite durchaus, gerade in den Innenraumszenen teilweise sogar fast unanständig gut für solch einen mittelmäßigen Film. Nur leider retardiert noch jedes formale Experiment in Musunde hiraite zur banalen Alltagslyrik, die sich irgendwann auch nicht mehr zu schade ist für in Zeitlupe davonflatternde Möwen.

"Ruhe Bitte!", ruft ein autoritärer Journalist seinen scheint's unruhigen Kollegen zu Beginn Nirvanas zu. Dabei ist das einzige was ungebührlich Lärmt der Film. Seit Jahren stammen die unerträglichsten Forumsfilme aus Russland beziehungsweise Osteuropa. Ob dies am allgemeinen Niveau der dortigen Produktion liegt oder an der Auswahl, kann ich mangels Expertise nicht beurteilen. Nirvana zumindest ist wieder einmal eine komplette Gurke.
In einem Paralleluniversum, welches zwar Städte namens Moskau und St. Petersburg kennt, aber ausschließlich von wild und tendenziell aber nicht näher definiert subkulturell geschminkt / bekleideten Freaks bewohnt wird, die zwischen Drogenexzessen und Jugendliteraturklischees gefangen in einen öden Gangster-Melodram-Plot hineinschlittern und leider erst nach quälenden 89 Minuten wieder herausfinden. Während alledem ist der Film vor allem: laut.

Wo ich schon bei Masochistenkino bin: Wem Nirvana und Paruthi Veeran nicht genügen, der schaue sich bitte Corroborree an: Ein australischer Jüngling (der von ferne an Constantin von Jascheroff erinnert) wird von einem alten Mann in dessen Anwesen eingeladen. Dieses wird bevölkert von einer Horde Frauen unterschiedlichen Alters, dessen Verhältnis zu ihrem Hausherrn ebenso ungeklärt bleibt wie jegliche Sinnfrage, die man an diesen Film zu stellen sich anschickt. In tristester Digioptik marschiert der Held durch die Zimmer des Anwesens sowie ein zugehöriges Gartenlabyrinth und unterhält sich mit den Frauen über nichts und wieder nichts. Mit der einen oder anderen schläft er auch und so langsam kommt man auf den Verdacht, dass es der Intention nach wohl um Performativität von Geschlechteridentität oder etwas ähnliches grundsätzlich höchst löbliches, sich hier jedoch leider im völlig falschen Kontext befindendes geht. Naja, irgendwann ist auch dieser Film zuende. @ Christian: Falls Du einen Nachfolger für Kinetta suchst: Das ist Dein Film.

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