Friday, January 26, 2007

Berlinale 2007: Village People Radio Show, Amir Muhammad, 2007

Mit Amir Muhammads Last Communist konnte ich auf der Berlinale 2006 nicht richtig warm werden, trotz vieler eindrücklicher Kleinigkeiten schien mir das Konzept den Film nicht in voller Länge zu tragen. Rückblickend freilich war das absurde Politmusical durchaus einer der eindrücklicheren Streifen des letztjährigen Festivals.
Muhammads neues Werk ist thematisch sehr ähnlich, wieder dokumentiert der Regisseur den Lebensweg eines malayischen Kommunisten, der in diesem Fall im Alter und nach zermürbenden Kämpfen nach Thailand ausgewandert ist. Formal ist Village People Radio Show ähnlich experimell wie Last Communist (unter anderem finden sich Auszüge aus einem Heldenepos und kurze, Brakhage-artige Filmabschnitte ohne jewglichen inhaltlichen Bezug zum Rest des Werks), aber innerhalb des eigenen Systems deutlich strenger: Die Kamera ist lange Zeit geradezu obsessiv starr, nur ganz langsam gewinnt sie etwas Spielraum, um am Ende vollkommen unverhofft in rasante Bewegungen verstzt zu werden. Wie in Last Communist versucht Muhammad, sich seinem Thema mithilfe mehrerer Ebenen zu nähern. In Village People Radio Show sind dieselben freilich ungleich heterogener und innerhalb ihrer jeweils eigenen Form ungleich konsequenter ausgestaltet.
Manch einer, dem Last Communist sehr gefallen hat, wird Village People Radio Show möglicherweise leicht enttäuscht verlassen. In der Tat scheint Muhammads neues Werk weniger auf die Darstellung gesellschaftlicher Realität aus zu sein, paradigmatisch ist hier die Hinwendung zu Naturmotiven anstelle der Dokumentation sozialer und kultureller Praktiken (einzig die Strasse als öffentlicher Raum wird öfters ins Bild gerückt). In meinen Augen aber funktioniert das formalistischere Konzept weitaus besser, als die Improvisationen des Vorgängers. Zwar droht das gesamte Konzept am Ende bisweilen in einem selbstgefälligen Zeichenspiel zu enden, meist scheint der Zugriff auf Geschichte (die innerhalb des Bildkaders genauso abwesend ist wie in Last Communist) jedoch ausgesprochen gut zu gelingen. Der fast kontingenten Organisation diverser Materialien resonieren in den gescheiterten Lebensläufen der irgendwo im Dschungel und den eigenen Erinnerungen vergessenen Revolutionäre, denen mit den Mitteln klassischer Dokumentationen wohl tatsächlich kaum beizukommen wäre.

Berlinale 2007: Lady Windermere's Fan, Ernst Lubitsch, 1925

Bei der Rennbahn: Um das Pferderennen geht es natürlich am allerwenigsten, das wird in einer einzigen Einstellung ganz am Ende abgehandelt. Blickkaskaden zwischen Mrs. Erlynne, dem Skandal der Saison, einigen Herren, die es auf sie abgesehen haben, der meist züchtigen Lady Windermere (nur ganz am Schluss des Films droht sie einen Fehler zu machen) und einigen Gossipdamen. Die Montage entwirft ständig neue Konstellationen, eröffnet neue Blickräume und -achsen, ermisst die sozialen Verhandlungen mit unglaublicher Präzision. Schließlich schiebt sich ein Mann an die Frau heran und zieht die Grenze der Kadrierung mit sich, bis die Leinwand ganz schwarz ist.
Mehrere solcher in sich geschlossener, oft recht ausgedehnter Setpieces finden sich in Lady Windermere's Fan. Lubitschs Variantenreichtum ist zwar der jeweiligen Situation, der jeweiligen Einstellung, immer angemessen, die Addition aller Varaianten weist jedoch weit über die narrative Struktur hinaus. Ähnlich wie Ozu (und vielleicht neuerdings Hong Sang-soo?) erfreut sich Lubitsch an Kombinationen und Rekombinationen auch um ihrer selbst Willen, erschafft Rhythmen, die zwar mit der dargestellten, hochkonventionalisierten Welt in Einklang stehen, in ihr jedoch nicht vollständig aufgehen. Drei Damen beobachten Mrs Erlynne. Eine hätte genügt, doch dann wäre wenigstens einer der schönsten Bildeinfälle des Films unmöglich gewesen.

Berlinale 2007: Le Cercle des noyés, Pierre-Yves Vandeweerd, 2006

Eine tiefe Stimme erzählt von Verhaftungen, Folterungen und Gefängnissen, die dafür ersonnen sind, Leben nicht nur zurechtzustutzen, sondern ganz auszulöschen. Dazu Bilder des heutigen Mauretanien in Schwarz-Weiss. Mehr Schwarz als Weiss. Schwarze Vögel vor weissem Himmel, weisse Glühwürmchen vor schwarzem Himmel, schwarze Schrift auf weissem Papier, schwarze Köpfe auf weissen Fotos. Dazu rauscht es auf der Tonspur und heisser Wind fegt über die Wüste. Bis auf die Fotos tauchen lange keine Gesichter auf. Irgendwann wird dann doch noch ein Wärter interviewt, davor eine verschleierte Frau. Ein Mann möchte, dass man seine Kamele filmt. Alles sehr düster. Das Gefängnis ist ein tiefschwarzer Kasten, irgendwo im Niemandsland, in der Wüste. Am Ende das Gesicht eines alten Mannes. Vielleicht hat ihm die Stimme gehört.

Thursday, January 25, 2007

Berliner Schule: Positionierungen

Selten findet sich in den Werken der Berliner Schule eine Praxis des Filmzitats wie sie sich im Gefolge von Pulp Fiction im Hollywoodkino (und fast noch stärker in manchen Bereichen des Independentfilms) breitgemacht hat, nämlich der mehr oder weniger willkürliche Zugriff auf die Filmgeschichte als unerschöpflichen Zitatfundus, der sich glänzend dazu eignet, das mit Video/DVD aufgewachsenen Publikum in seiner eigenen Kenntniss der Filmgeschichte zu bestätigen und der deshalb durchaus als Verkaufsargument (gerade für die DVD-Auswertung, damit auch tatsächlich jeder Verweis erkannt werden kann) gelten darf. Der Zugriff der meisten Berliner Schule Filme auf die Filmgeschichte (soweit er überhaupt stattfindet, einige Regisseure scheinen daran weniger Interesse zu besitzen) ist anderer Art. Die Verweise auf Pialat und Rohmer bei Arslan etwa erscheinen eher als Selbstpositionierung des eigenen Films innerhalb einer bestimmten Tradition des europäischen Autorenfilms und eventuell auch als eine Art Rezeptionsanleitung. Hierzu passt auch die Technik dieser referenziellen Geste: Die Verweise werden nicht versteckt präsentiert, in beliebigen Zeichen, statt dessen sind diese Filme stets (auch im Falle anderer Bezugnahmen) als Filme präsent. Der konkrete Inhalt der Filme, auf die sich die Berliner Schule bezieht, spielt dennoch selten eine Rolle. Eine Ausnahme stellt in "Die innere Sicherheit" Resnais "Nuit et brouillard" dar, der eine deutlich diskursivere Stellung in Petzolds Film einzunehmen erscheint. Weniger deutlich erkennbar sind Bezüge auf Filmgeschichte, die sich in die formale narrative Struktur der einzelnen Werke eingeschrieben haben, ohne darüber hinaus gekennzeichnet zu werden. Zu erwähnen wären etwa manche Parallelen der Hotelsequenz in "Montag kommen die Fenster" mit "Elephant" oder des gesamten Films mit "Viaggio in Italia".
Die eigene Position innerhalb des Systems des Weltkinos einerseits und der nationalen wie internationalen Filmgeschichte andererseits scheint zu einem nicht geringen Teil institutionell festgeschrieben zu sein. Deutlich wird dies unter anderem an der großen Präsenz der Filme auf der Berlinale bei gleichzeitiger fast vollständiger Abstinenz in Cannes oder Venedig. Selbst den arrivierteren Regisseuren scheint der Schritt auf die anderen großen Festivals nicht zu gelingen, was möglicherweise auch damit zusammenhängt, dass die von den Berliner Schule Regisseuren genutzten Förderinstitutionen stark an den deutschen Festivalsbetrieb gebunden sind. Aus ähnlichen Gründen ist der erste Bezugspunkt vieler Debatten über die Berliner Schule auch zwangsläufig das deutsche Autorenkino im Allgemeinen und der Neue Deutsche Film im Besonderen. Auch die spezifische Geschichte der Institution dffb spielt in diesem Kontext eine Rolle.
Auffallend ist jedoch, dass die Filme der Berliner Schule selbst sich textuell kaum (wenn überhaupt) auf vergangene deutsche Filmgeschichte beziehen. Auch die Veteranen des deutschen Autorenkinos (mit Ausnahme Farockis) spielen kaum eine Rolle innerhalb der gesamten Debatte und scheinen im Gegenzug auch wenig an den neuen Filmen interessiert. Der Blick richtet sich vielmehr meist auf die französische Filmgeschichte oder das aktuelle Weltkino. Es scheint ein gewisses Missverhältniss zwischen den eigenen Positionierungswünschen und den realen Strukturen des internationalen Festivalbetriebs wie des deutschen Diskurssystems zu bestehen. Vor allem scheint die deutsche Filmgeschichte kein Ort zu sein, an dem man sich gerne aufhält, was mit Blick auf das Schicksal des deutschen Autorenkinos (und hier ist der vergleichende Blick nach Frankreich ebenso naheliegend wie aus deutscher Sicht ernüchternd) durchaus verständlich erscheint.

Monday, January 22, 2007

Female Jungle, Bruno VeSota, 1954

Der Titel des Films erklärt sich durch die Distributionszusammenhänge. Denn Female Jungle ist kein B-Noir mehr im Sinne von Out of the Past, sondern tendenziell eher Drive-In Ware. Produziert von der mysteriösen "Bert Kaiser Productions Inc." und vertrieben von AI-Vorläufer ARC, gehört der Film zur ersten Welle der neuen B-Filme, hergestellt außerhalb der traditionelleren Poverty Row Studios und dementsprechen meist auch ohne deren handwerkliche Solidität. Auch Regie und Besetzung sprechen Bände: Bruno VeSota hat außer Female Jungle nur zwei Trashhorrorfilme gedreht, B-Legende John Carradine ist an Bord, außerdem ein gewisser Burt Kaiser, der das Ganze scheinbar auch produziert hat und dessen Overacting schon fast Archie-Hall-Jr.-Dimensionen erreicht.
In Bezug auf den Inhalt ziehlt der Titel in die denkbar falsche Richtung. Die wenigen Frauen, die in dem Film auftauchen, sind allesamt ausnehmend flach gezeichnet und spielen selbst innerhalb der Handlungsmotivation - zumindest für Noir-Verhältnisse - meist keine allzu große Rolle. Die erste wird gleich im Vorspann umgebracht und nimmt danach eine MacGuffin-ähnliche Position ein. Einzig Jayne Mansfield (in ihrer ersten Filmrolle) macht etwas deutlicher auf sich aufmerksam, doch ihre vollkommen überzogene Femme Fatale mäandert eher an den (häufig ausfranzenden) Rändern des Films denn in dessen Zentrum. Ansonsten findet sich noch eine brave Hausfrau und eine burschiköse Polizistengattin.
Es sind - wie natürlich meistens im Noir, doch in diesem Falle noch um einiges deutlicher - die Männerfiguren, die das "Jungle" rechtfertigen könnten. Die Psychopathologie, die viele späte Noirs prägt, findet sich hier in extremer Form. Ein Polizist, der unter alkoholbedingter Amnesie leidet, ein dem Modernismus verpflichteter Playboy (John Carradine), der nicht nur einen dezidiert unamerikanischen Namen trägt, sondern dessen Exzentrik sich in jeden einzelnen Bestandteil seines Körpers wie seines Habitus eingeschrieben hat und schließlich noch ein schwer psychotischer Kariakturist (oben erwähnter Burt Kaiser).
Der ganze Film spielt nachts. Die Dunkelheit dient vor allem dem Zweck, die schwachbrüstige Setkonstruktion zu verbergen - von atmosphärischem Chiaroskuro keine Spur, nur dunkel gekleidete Figuren, die vor noch dunkleren Hintergründen ihren selbstverständlich ebenfalls äußerst dunklen Geschäften nachgehen.
Tendenziell ist Noir besser, je weniger Hollywood-Routine Eingang findet, um die dieser filmischen Form eigene Dynamik zu verbergen. In Female Jungle liegt die Noir-Formel endgültig offen, die Struktur drogt jeden Moment an ihren eigenen Wiedersprüchen zu zerbrechen. Zwar gehört der Film sicherlich nicht zu den ganz großen Noir-Meisterwerken, ein äußerst aufschlussreiches Werk, nicht nur in filmhistorischer Hinsicht, ist er allemal.

Sunday, January 21, 2007

Berlinale 2007: This Filthy World, Jeff Garlin, 2006

John Waters präsentiert 86 Minuten lang Classic American Showmanship: Ich weiss zwar, dass ich niemanden mehr schockieren kann, aber ich gehe trotzdem raus und erzähle Euch was über Fistfuck und den Anus und diese eine Szene aus Pink Flamingos.
Wer John Waters lediglich als anarchischen Bürgerschreck wahrnahm, lag schon immer falsch. Zwar war der unbedingte Wille zum Tabubruch stets ein wichtiges Element des watersschen Universums, doch mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit schenkte er der Konstruktion der eigenen Kunstfigur. This Filthty World, eine abgefilmte Stand-Up Routine erfährt ihren einzigen ästhetischen Mehrwert gegenüber ihrer Vorlage (welcher allerdings keineswegs die Anwesenheit des großartigen Entertainers zu ersetzen imstande ist) durch einige wenige Gegenschnitte von Waters auf das Publikum. Letzteres besteht größtenteils aus gutsituierten jungen Menschen ohne jegliche Auffälligkeit und lässt so die Watersschen Eigenheiten nur noch deutlicher hervortreten. John Waters ist mit seiner eigenen Kunstfigur so stark verschmolzen wie sonst höchstens Johnny Knoxville.
Wer mit John Waters Filmen und Essays vertraut ist, wird durch This Filthy World nichts neues erfahren (und wer dies nicht ist, sollte es schleunigst nachholen), wer jedoch während der Berlinale 86 Minuten lang vor den Dummheiten und Lautsprechern jeder Art, denen das Festival sicherlich auch in diesem Jahr wieder ein Forum bieten wird, fliehen möchte, dem sei die Gesellschaft dieses stets intelligenten und absolut geschmackssicheren älteren Herren dringend ans Herz gelegt.

Berlinale 2007: The Bubble, Eytan Fox, 2006

Ein israelitisch-palästinensiches Schwulenpärchen inmitten des ewig schwelenden Nahostkonflikts? Das kann natürlich fast nur schiefgehen und dies tut es dann auch in reichlich katastrophaler Weise.
Was lange Zeit nach einer harmlos-doofen Politkomödie im Stile von Die fetten Jahre sind vorbei aussieht, beginnt sich im zweiten Filmabschnitt immer stärker zu geometrisieren: Auf beiden Seiten des Grenzwalles sind die Liebenden in soziale Netzwerke eingespannt, die auf jeweils unterschiedliche Weise auf die allgegenwärtige politischen Sphäre reagiert.
Alles muss rein in diesen Film und raus kommt dafür umso weniger. Lange Zeit ist Eytan Fox damit beschäftigt, einen utopischen Ort zu konstruieren, der einen Ausweg aus der Misere verspricht, doch letzten Endes entspricht die filmische Logik voll und ganz der des kritisierten Konflikts, bis hin zur letzten Wendung, die sich eigentlich kaum noch aus irgendeinem innerfilmischen Strukturen heraus zu rechtfertigen vermag und erstaunlich beliebig wirkt.
Die plumpen Sex-Politik Diskurse gipfeln in der planlos um die Hauptfiguren rotierenden Kamera. Dann ist endlich gut.

Saturday, January 20, 2007

Berlinale 2007: Blindsight, Lucy Walker, 2006

Einen Film über Blinde zu drehen, ist von Anfang an zwar nicht zwingend zynisch jedoch auf jeden Fall heikel. Das Ganze wird tendenziell noch heikler, wenn es sich bei den Blinden um tibetanische Waisenkinder handelt, die unter der Führung eines ebenfalls Blinden Engländers im Himalaya einen Berg erklimmen möchten.
Selbstverständlich ist sich Lucy Walkers Film den in das Projekt qua Thema eingeschriebenen Schwierigkeiten des eigenen Unterfangens in keiner einzigen Einstellung bewusst, nicht einmal in der Sequenz, die eines der Kinder im Kino (!) zeigt, wie dieses gespannt dem Soundrack lauscht. Statt dessen arbeitet sich der Film an irgendwelchen dämlich in Szene gesetzten angeblichen kulturellen Unterschieden zwischen Asiaten und Europäern (oder zwischen bettelarmen Waisenkindern und ihren Gönnern? Egal...) ab und wählt selbst an den spektakulärsten Schauplätzen ausschließlich die allerbanalsten Postkartenbilder als Illustration.
Ein wahrhaft ärgerlicher und selbst für Panorama-Verhältnisse erstaunlich unnötiger Film.

Thursday, January 18, 2007

Bazin: Die Entwicklung der Filmsprache

Zu fragen ist, inwieweit Bazins Kategorisierungen zeitgebunden sind oder sich im Gegenteil verallgemeinern lassen. Seine Ausführungen scheinen an ein Verständnis von Filmgeschichte gebunden zu sein, das wohl schon zum Erscheinungsdatum des Aufsatzes fragwürdig war, heute aber noch viel weniger anwendbar ist. Die Vorstellung, dass Filmgeschichte vor allem durch das Aufeinander-Einwirken großer Regisseure entsteht, deren Kommunikation über Kontinente und Jahrzehnte hinweg dafür sorgt, dass eine einzige dominante Filmsprache den Diskurs bestimmen kann, scheint im Zeitalter der allumfassenden Diversifizierung nicht mehr angemessen zu sein. Heute existieren unterschiedlichste Bezugssysteme nebeneinander, die sich untereinander fast gar nicht mehr austauschen. Zu fragen wäre also, ob die Eigenschaften, die dem "neuen Kino" von Welles und Wyler zuschreibt und die sich in erstaunlicher Weise in den Elogen wiederfinden, die immer noch Jahr für Jahr den jeweiligen Lieblingen der internationalen Cinephilenszene gewidmet werden, auch heute noch eine wirkliche beschreibende Funktion besitzen (inklusiver der metaphysischen Ebene, die Bazin ausmacht) oder nicht vielmehr nur noch als letztlich außerhalb kommerzieller Erwägungen unmotivierte Ergänzung / Beschreibung des Etiketts "Kunstfilm" beziehungsweise "Autorenkino" benutzt werden.

Friday, January 12, 2007

Bresson, Farocki, Nolan

Ein Teil der Anmerkungen Farockis zu Bresson ("Bresson ein Stilist", Filmkritik 28/3-4, 1984) rufen mir eine Gruppe von Filmen in Erinnerung, die auf den ersten Blick gar nichts mit Bresson zu tun zu haben scheinen. Der Versuch „in Aussagesätzen zu schreiben“, jeden Wert „als Bestandteil einer Aussage zu erscheinen“ lassen, unternehmen schließlich auch Filme wie Crash (Haggis) oder Amores Perros, Filme also, die man kaum in einem Atemzug mit Bresson nennen möchte. Hier wird jedes filmische Element gnadenlos in den Dienst der Emotionsmaschinerie gestellt, nur noch durch seine Beziehungen zu anderen Gegenständen, Menschen oder deren Eigenschaften (Hautfarbe etc.) definiert. Am deutlichsten wird diese Parallelität vielleicht im Falle von Nolans Prestige, der zwar aus einem anderen Produktionszusammenhang stammt und weit weniger ärgerlich ist, aber Bressons Diktum „Der Kinematograph ist eine Schrift mit Bildern in Bewegung und mit Tönen“ vielleicht noch konsequenter umsetzt, da er – auch mithilfe digitaler Technik – alles beseitigt, was den Schriftfluss stören könnte.
David Bordwell beschreibt die formalen Eigenschaften des modernen kommerziellen Kinos mithilfe der Formel „intensified continuity“. Auch dieses Konzept deckt sich in mancher Hinsicht mit Farockis Analyse: „Schuß-Gegenschuß, das ist eine vielkritisierte Filmsprache – Bresson kritisiert sie, indem er sie verschärft anwendet.“ Selbstverständlich kritisieren oben genannte Filme nicht das continuity system, da die eingesetzten Techniken sich ähneln, ähnelt sich jedoch teilweise auch der Effekt. Wieder kann vor allem Prestige als Beispiel dienen, mit seinem fast vollständigen Verzicht auf establishing shots und der emphatischen Nutzung der Großaufnahme, die die räumliche Kontinuität, die Voraussetzung für die Funktion des klassischen continuity system, auch während den Schuss-Gegenschuss-Passagen tendenziell auflöst.
Bresson ist kein Vorläufer der Innaritu/Meirelles Schule und Farocki schreibt keine Anleitung für manipulativen Arthaus-Schmock. Die Insistenz auf der Darstellung von Arbeit und ihrer Fortsetzung im Blick beispielsweise hebt beide Werkgruppen diametral voneinander ab. Die beschriebene Filmform jedoch ist - wenn kein Zweck mitgedacht wird - an und für sich genauso wenig unschuldig wie das klassische continuity system.

Monday, January 08, 2007

2006: Schönes und sehr Schönes (Auswahl)

Mondo Trasho (John Waters, 1969), Kaalpurush (Buddhadev Dasgupta, 2005), I love Maria (David Cung, 1988), Domino (Tony Scott, 2005), In Between Days (So Young Kim, 2006), To Parcifal (Bruce Baillie, 1963), John & Jane (Ashim Ahluwalia, 2005), Montag kommen die Fenster (Ulrich Köhler, 2006), Aus der Ferne (Thomas Arslan, 2006), Spiral Nebula (Ken Jacobs, 2005), Black Cat Mansion (Nakagawa Nobuo, 1958), The Sadist (James Landis, 1963), Ukigomu (Naruse Mikio, 1955), Intimate Confessions of a Chinese Courtesan (Chor Yuen, 1972), Barbershop (Tim Story, 2002), Hostel (Eli Roth, 2005), Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen? (Gerhard Benedikt Friedl, 2004), Moolaade (Ousmane Sembene, 2004), Ms. 45 (Abel Ferrara, 1981), The 40 Year Old Virgin (Judd Apatov, 2005), Double Suicide (Masahiro Shinoda, 1969), La vampire nue (Jean Rollin, 1969), Springtime in a Small Town (Tian Zhuangzhuang, 2002), Blissfully Yours (Apichatpong Weerasethakul, 2002), A Tale of Cinema (Hong Sang-soo, 2005), Napoleon Dynamite (Jared Hess, 2004), A Time to Live and a Time to Die (Hou Hsiao Hsien, 1985), Millenium Mambo (Hou Hsiao Hsien, 2001), La Cienage (Lucrecia Martel, 2001), Ein Bild (Harun Farocki, 1983), La noir de... (Ousmane Sembene, 1966), The World (Jia Zhang-ke, 2004), Deathbed – The Bed that Eats (George Barry, 1977), The Hole (Tsai Ming Liang, 1998), The Parallax View (Alan Pakula, 1974), Demonlover (Oliver Assayas, 2002), Beau Travail (Claire Denis, 2002), Miami Vive (Michael Mann, 2006), The Tingler (William Castle, 1959), Humanity and Paper Balloons (Yamanaka Sadao, 1937), Cherry, Harry & Rachel (Russ Meyer, 1970), Shadow: Dead Riot (Derek Wan, 2006), As Tears Go By (Wong Kar Wai, 1988), Hausu (Obayashi Nobuhiko, 1977), Timecode (Mike Figgis, 2000), Cafe Lumiere (Hou Hsiao Hsien, 2003), Reminiscences of a Journey to Lithuania (Jonas Mekas, 1972), Nella Stretta morsa del Ragno (Antonio Margheriti, 1971), "The Prisoner" (Serie), Kiss Me Deadly (Robert Aldrich, 1955), New Rose Hotel (Abel Ferrara, 2002), Battre mon coeur s'est arrete (Jacques Audiard, 2005), The Duellists (Ridley Scott, 1977), Possession (Andrzej Zulawski, 1981), Black Dahlia (Brian DePalma, 2006), Winchester '73 (Anthony Mann, 1950), Archangel (Guy Maddin, 1990), Bimbo's Initiation (Dave Fleischer, 1931), Der schöne Tag (Thomas Arslan, 2001), Dust in the Wind (Hou Hsiao Hsien, 1986), A Summer At Grandpa's (Hou Hsiao Hsien, 1984), Gekashitsu (Bando Tamasaburo, 1992), Children of Men (Alfonso Cuaron, 2006), The Comfort of Strangers (Paul Schrader, 1991), Rosetta (Dardenne Bros, 1999), Festival (Im Kwon-taek, 1996), The Devil's Cleavage (George Kuchar, 1975), The Flavor of Green Tea Over Rice (Ozu Yasujiro, 1952)

Sunday, January 07, 2007

Babel, Alejandro Gonzales Innaritu, 2006

Und gleich noch einmal: Manierierte Narrative, hochmanipulative Effektlogik, dazu als Zugabe globale Verständigungsrethorik vom selbsterklärten "Linken jenseits der Ideologie". Doch so schrecklich wie erwartet ist der Film gar nicht.
Ohne Zweifel ist Babel Innaritus erträglichstes Werk. Die afrikanischen Episoden atmen stellenweise einen unverfälschten, ehrlichen Realismus, wie man ihn von dem Mexikaner so gar nicht gewohnt war (vor allem nicht im Falle des im Rückblick absolut unerträglichen Amores Perros). Der Film bleibt sich den Bdingungen des eigenen Blicks auf den Kontinent stets bewusst und verzichtet - mit einigen, allerdings extrem ärgerlichen Aussnahmen - auf die Einmischung in innerafrikanische Diskurse. Vor allem lässt Innaritu seinen Figuren genug Zeit und genug Raum, eröffnet ihnen die Möglichkeit, sich ein wenig vom Drehbuch und der Kadrierung zu emanzipieren.
Auch die japanische Episode funktioniert auf ähnliche Weise. Selbst die Sequenz im Nachtleben Tokyos kann überzeugen, die Montagesequenzen eröffnen in der Tat neue Bildräume, anstatt nur visuelle Klischees zu reproduzieren.
Freilich eröffnet sich gerade durch die angenehm zurückhaltende Regie Innaritus eine Spannung innerhalb des Films zwischen den entfesselten Bildern und den Restriktionen des am Reissbrett entworfenen Drehbuchs, das sich an seinen Parallelitäten (zwei Geschwisterpaare, drei Eltern-Kind Beziehungen etc) erfreut. Besonders deutlich wird dies in der Episode um die afrikanischen Brüder, deren ebenso gutmenschelnde wie überkonstruierte Auflösung dann doch wieder den Geist von Paul Haggis Crash atmet.

The Prestige, Christopher Nolan, 2006

Die manierierte und in diesem Fall in mancher Hinsicht unmotiviert komplizierte narrative Struktur versucht Nolan durch einen extrem simplifizierten Bildaufbau auszugleichen. Großaufnahmen der Gesichter der Hauptfiguren dominieren den gesamten Film, verbunden mit exzessivem Weichzeichnereinsatz im Hintergrund. Letzterer weisst eine erstaunliche Ähnlichkeit mit den grafischen Pattern der frühen dreidimensional animierten Computerspielen aus den späten Neunziger Jahren aufweist. Das Bordwellsche System der Intensified Continuity in Reinform. Nolan macht sich gar nicht erst die Mühe, eine lebendige Diegese aufzubauen, da diese der brutalstmöglichsten Drehbuchverwirklichung im Weg stehen würde: Alles, was gezeigt wird, hat Bedeutung und deshalb wird nur gezeigt, was Bedeutung hat.
Umso ärgerlicher in einem Film, der zumindest ansatzweise - im Gegensatz zum Großteil der Blockbusterkonkurrenz - auf einer historischen Gebundenheit seines Materials beharrt. Doch auch Thomas Edison wird auf eine Position unter vielen anderen im Nolanschen Zeichensystem reduziert. Die Bilder werden, auch durch Hans Zimmers allgegenwärtigen Soundtrack, nicht nur jeglichem Resonanzraum in ausserfilmischen Diskursen beraubt sondern verhindern auch jegliches Ausscheren des Zuschauers aus dem - trotz doppelter Rücklende - alles mit sich fortreissenden Strom der Erzählung. Jede Sequenz, jede Szene, jede Einstellung wird der narrativen Dominante untergeordnet. Die Einführung beschränkt sich auf eine hochkodifizierte Montagesequenz, dann muss es sofort weiter gehen.
Auch die Charakterentwicklung, traditionell das Steckenpferd der imdb-Userreviews wie des amerikanischen Qualitätskinos, folgt ähnlichen Regeln. Dem "Geheimnis", das beide Protagonisten in sich tragen, wird alles untergeordnet. Nur selten mischt sich in die Affektlogik ein wenig Subversion. So etwa im Falle des Selbstmordes Sarahs. Für einen Moment funktioniert die Maschinerie Nolans nicht mehr. Doch der nächste Storytwist wartet schon...